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Kirche in WDR 5 | 07.04.2023 | 06:55 Uhr
Verraten
Guten Morgen!
Heute ist Karfreitag, der Todestag Jesu.
Heute ist auch der Todestag des Judas. Judas ist der Jünger, der Jesus verraten und gegen Geld an seine Feinde ausgeliefert hat. In verzweifelter Reue wirft er das Geld weg, das sie ihm gezahlt hatten, und erhängt sich. So wird es im Matthäusevangelium erzählt. Mir wächst ein Kloß im Hals. Was für ein verlorener Mensch! Er weiß nicht mehr ein noch aus mit seiner Schuld. Es gibt keine Entschuldigung, denn der, der sie gewähren könnte, stirbt gerade am Kreuz. Es gibt keine Möglichkeit zur Wiedergutmachung, denn hier kann nichts mehr gut werden. Judas ist sich selbst unerträglich geworden.
Den engsten Freund hat er verraten – mit einem Kuss! – und ihn dem Tod preisgegeben. Was für eine schändliche Schuld.
Die Geschichte von Judas lässt wohl keinen kalt. Warum bloß hat Judas sich zu diesem Verrat hinreißen lassen? Wegen des lumpigen bisschen Geldes? Aus Geltungssucht? Oder will er seinen Meister provozieren, damit der es seinen Gegnern endlich mal so richtig zeigt? Wir wissen es nicht. Immer wieder verraten Menschen, was sie lieben: Angehörige, Freunde, Überzeugungen. „Herr, bin ich’s?“, so fragen die Jünger der Reihe nach, als Jesus mit ihnen am Tisch sitzt und ihnen ankündigt: „Einer von euch wird mich verraten.“ „Herr, bin ich`s?“ Jeder zuckt zusammen bei der Erkenntnis: „Ja, ich könnte es sein. Ich bin nicht gefeit. Auch ich bin anfällig dafür.“
„Herr, bin ich’s?“: Ich höre mich selbst so fragen. Wo bin ich in Gefahr zu verraten, was ich liebe? Wie stark wäre ich gewesen, wenn die Stasi mich unter Druck gesetzt und verlangt hätte, ich solle Freunde bespitzeln? Wie viel von Christus wäre ich bereit preiszugeben, wenn ich in einem Land lebte, wo Christen verfolgt werden? Oder verrate ich Christus auf ganz andere Weise, indem ich ihn vor den Karren meiner eigenen Überzeugungen spanne?
„Herr, bin ich´s?“: Die Frage ist unangenehm. Aber ich muss sie mir stellen, um aufrecht und geradlinig zu bleiben in den alltäglichen Versuchungen, Christus zu verraten. Dieser Judas steckt in jedem Menschen. Wir haben keinen Anlass, ihn zu verteufeln. Verteufelung ist eine Spezialität von totalitären Gemeinschaften. Sie stecken ihre Leidenschaft darein, Menschen als Verräter zu brandmarken, sie aus ihrer Gemeinschaft auszustoßen und zur Strecke zu bringen.
Karfreitag ist für mich auch ein Tag der Trauer über Judas. Ich hoffe darauf, dass die Gnade Gottes größer ist als die Verirrung des Judas.
In der Basilika Saint-Marie-Madeleine in Vézelay in Burgund gibt es eine wundersame und tröstliche Darstellung: Dort nimmt Christus den Leichnam des erhängten Judas auf seine Schultern und trägt ihn wie der gute Hirte das verlorene Schaf.
Einen gesegneten Tag wünscht Ihnen Annette Kurschus aus Bielefeld.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze