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Das Geistliche Wort | 28.05.2023 | 08:40 Uhr

Inspiration

Guten Morgen und zunächst ein gesegnetes Pfingstfest!

Neulich bin ich im Internet auf einen interessanten Trent gestoßen – und der passt haargenau zu Pfingsten. Und zwar habe ich folgendes gefunden: Bei Youtube wird geflüstert und geatmet. Und was mich überrascht hat: Diese Formate gehören zu den drei am häufigsten angeklickten. Menschen erzeugen leise Geräusche. Das sind intime Begegnungen im Ohr. Das Ganze nennt sich ASMR und bedeutet „unabhängige sensorische Meridianreaktion“. Es geht dabei um einen Auslöser für eine körperliche Reaktion, für ein beruhigendes Gefühl, ein Kribbeln, wie eine Gänsehaut, die sich im oberen Rücken, Nacken und Hinterkopf spüren lässt. Und ein Auslöser, das ist einfach Atmen:


Zwei tiefe Atemzüge


Einfach atmen. Nicht mehr und nicht weniger. Das ist alles. Ganz schlicht und einfach. Und das inspiriert? Immerhin: Millionenfach hören Menschen bei youtube anderen Menschen beim Atmen zu. Und das entspannt, beruhigt und soll sogar beim Einschlafen helfen. Aber es geht wohl noch um mehr. Es gibt tatsächlich körperliche Reaktionen auf das Hören des Atems: ein Kribbeln, eben diese Art Gänsehaut, über den oberen Rücken und den Nacken. Das klingt fast erotisch nach Erregung.

Einfach hören, wie geatmet wird, wie mir ins Ohr geatmet wird. Ist es laut, oder nicht doch ganz leise? Meine Aufmerksamkeit ist jedenfalls ganz konkret auf das Atmen, die Inspiration gerichtet. Und so kommt es mir vor, als ob ich den Atem des anderen spüre, als ob er mich anhaucht, er mir seinen Atem einhaucht. So ist zu erspüren, was eigentlich das lateinische Wort inspiratio bedeutet: Einhauchen.

Der Trend der ASMR Videos macht etwas hörbar und spürbar, was eigentlich völlig alltäglich ist. Eine ganz unbewusste Reaktion des Körpers wird bewusstgemacht, ja sogar spürbar. Die Flüster- und Atemvideos führen mich auf die Spur der Inspiration, die ich eben wirklich körperlich spüren und erleben kann.


Musik I: Instrumental „Dominus Spiritus“ (Taizé)


Um Inspiration geht es ja auch am heutigen Pfingstfest. Im Neuen Testament im Johannesevangelium wird das Pfingstfest auch wie eine intime Begegnung der Jüngerinnen und Jünger mit Jesus beschrieben. Intim deshalb, weil sie sich zurückgezogen hatten. Die Türen fest verschlossen. Aber Jesus kommt in ihre Mitte. Er zeigt sich körperlich, das heißt, er zeigt seine Wunden, seine Hände und Füße, seine Seite. Er gibt sich seinen engsten Freundinnen und Freunden zu erkennen. Damit beruhigt er sie. Denn sie waren aufgeregt, verunsichert, irritiert. Schließlich war Jesus elend am Kreuz gestorben. Es gab zwar Berichte er sei von den Toten auferweckt worden und das Grab leer, in das sie ihn gelegt hatten. Aber andere hatten ihnen erzählt, er lebe. Er sei ihnen begegnet. Doch so richtig glauben konnten sie das nicht. Tot ist tot. Doch dann steht er plötzlich in ihrer Mitte. Sie sehen seine Verletzungen. Da ist es gut und richtig, dass er zu ihnen spricht und ihnen Frieden wünscht: Shalom. Denn sie waren sehr aufgewühlt und verunsichert. Dann heißt es da im Johannesevangelium wörtlich (Joh 20, 32): „Nachdem er das gesagt hatte, haucht er sie an und sagte zu ihnen „Empfangt den Heiligen Geist!“

Das klingt wie in den ASMR Videos auf youtube: Jesus haucht seine Jüngerinnen und Jünger an. Er atmet tief ein und spricht leise: Empfangt den Heiligen Geist!

Was für ein Auslöser! Ich habe mich gefragt, was das bei den Jüngern Jesu für körperliche Reaktionen ausgelöst hat? Wie fühlt sich das wohl an, wenn ich so angehaucht werde?

Ich spüre Nähe. Dieses Anhauchen erinnert mich fast schon an einen Kuss. Den Atem eines anderen zu spüren ist warm und wohlig. Da liegt Erregung in der Luft. Vom Kuss ist allerdings im Johannesevangelium nicht die Rede. Vielleicht ist es irgendwas dazwischen. Vielleicht die Beschreibung einer Sehnsucht nach größerer Nähe. Ein Glücksgefühl, dass mir jemand wieder so nahe ist. Oder in der Erfahrung der ASMR Videos ein Auslöser für ein Kribbeln im oberen Rücken und Nackenbereich.

Der Atem des anderen eröffnet mir einen Erfahrungsraum: Er haucht mich an, er haucht seinen Atem in mich ein. Das meint Inspiration – Einhauchung. Und genau darum geht es an Pfingsten: Inspiration erleben. Gefüllt werden mit Heiligem Geist.


Musik II: Kanon „Veni Creator“ (Taizé)


Atmen, Hauch erspüren, Geist erfahren. Dieser Spur folge ich schon seit mehreren Jahren in der Meditation. Regelmäßig übe ich mich im kontemplativen Gebet. Ich ziehe mich zurück, wie die Jünger im Johannesevangelium, entweder alleine in meine Gebetsecke oder mit anderen in ein Kloster. Ich brauche diese Übungszeiten, sie sind nämlich für mich zugleich Inspirationszeiten. Dabei ist das alles ganz unspektakulär. Interessanterweise sind solche Atemübungen als Inspirationsübungen – in allen Weltreligionen ähnlich. Da fragen manche vielleicht, was soll denn daran inspirierend sein, einfach nur atmen?

Ich versuche das einmal etwas zu beschreiben. Ich sitze auf einem Stuhl oder Hocker. Ich nehme mir Zeit, meistens 25 Minuten. Ich bin einfach nur da – und atme.

Ich nehme mich in meinem Körper wahr. Ausatmen, loslassen – warten – einatmen. Es gilt schlicht den Atem zu beobachten, zu spüren, wie er kommt und geht. Dabei ist es noch inspirierender in den Zwischenraum zwischen Ausatmen und Einatmen zu lauschen. Diese Leere, die Stille zwischen den beiden Atemzügen – aus und ein – aufmerksam wahrnehmen was ist.

Nicht mehr und nicht weniger. Und: Ich beobachte, nehme wahr ohne zu werten. Ich lausche, höre in die Stille hinein, die gar nicht so still sein muss, weil vielleicht gerade in der Stille erst einmal aus dem Unbewussten Dinge, Themen und Botschaften ins Bewusstsein dringen, für die in der Hektik und Betriebsamkeit des Alltags oft gar kein Raum waren. Deswegen kann es eben sehr inspirierend sein, auf die Leere zwischen Ausatmen und Einatmen zu lauschen. Sowohl Schmerz als auch Trauer können sich dann zeigen. Mir können in der Meditation plötzlich die Tränen kommen. Ich spüre Verspannungen deutlich. Das gilt es wahrzunehmen. Auch Freude und Glücksgefühle sind mögliche körperliche Reaktionen. Aber all das ist nicht das eigentliche Ziel dieser Form der Meditation. Es ist und bleibt nur das Ziel: Einfach sein. Loslassen, um sich neu inspirieren zu lassen. Letztlich eine Übung die aus dem Machen und Leisten herausführen kann.

Das gelingt mir mal besser und mal schlechter. Es gibt Übungszeiten, die sind wirklich anstrengend. Da sind die Gedanken so laut, dass ich mich gar nicht auf den Atem konzentrieren kann. Ein anderes Mal scheint die Zeit gar nicht zu vergehen. Und dann wieder ein anderes Mal ist die Zeit gefüllt mit Stille und einem ganz besonderen Gefühl angerührt und gehalten zu sein. Und ganz oft ist es nichts besonders. Ich habe gesessen und geatmet. Dann war es gut wie es war. Und doch sind diese Übungszeiten eine große Inspiration. Ob ich es wahrnehme oder nicht, ob es mir bewusst wird oder nicht. Die Inspiration ereignet sich, denn in dem ich atme findet eigentlich Einhauchung statt. Ich lasse mich nämlich füllen, eben erfüllen. Ich vertraue darauf, dass es auch in dieser Meditation so ist, wie es im Johannesevangelium beschrieben steht. Mit dem Einatmen empfange ich den Heiligen Geist.


Musik III: „Atme in uns“ (Taizé)


Ich komme noch einmal zurück auf die Beschreibung des Pfingstfestes im Johannesevangelium in Verbindung mit meiner Atemübung. Beides bringt mich immer wieder auf die Spur, dass Inspiration noch mehr transportiert. Es ist etwas Doppeltes. Es scheint mir, als ob da noch ein weiterer Inhalt mitgegeben wird. Das hängt zusammen mit der doppelten Wortbedeutung des hebräischen Wortes Ruach und des griechischen Wortes Pneuma. Beide Worte bedeuten sowohl Atem/Wind als auch Geist. So hat auch das lateinische Wort Inspiratio eine zweite Bedeutung: Neben Einhauchen meint es auch Beseelen. Das ist für mich nachvollziehbar: zwei drei Atemzüge genügen mir manchmal, mich wirklich wieder beseelt zu fühlen, lebendig, erfüllt, erfrischt.

Es gibt noch ein anderes Beispiel, wo Inspiration Einhauchung und Beseelung beschreibt. In der Kunst spielt die Inspiration ebenfalls eine wesentliche Rolle. Denken Sie nur an den berühmten Musenkuss. Von dieser notwendigen Erfahrung erzählen viele Kunstschaffende. Solange die Muse nicht geküsst hat, gelingt nichts. Es braucht diese eine Inspiration mit der Kreativität, damit die schöpferische Kraft freigesetzt wird.

Dabei kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass diese künstlerische Inspiration nicht unbedingt ein klassisches Ereignis sein muss. Ich male nämlich selber. Und für mich ist diese Inspiration im künstlerischen Schaffen ein Prozess. Es geht beim Malen um ein Hinspüren, ein Wahrnehmen – auch von körperlichen Reaktionen, die mich spüren lassen, was werden will. Denn für meine Kunst ist das Werden wesentlicher als das Machen.

Was ich damit meine? Ich mache nichts weiter als mit einem Rakel, das ist ein großer Spachtel, viel Farbe auf einen Malgrund aufzutragen. Farbschicht für Farbschicht. Dabei mischen sich die unterschiedlichsten Farben. Mal ist zu erwarten, was entsteht, schließlich weiß ich, dass z.B. aus Blau und Gelb Grün wird. Aber oft vermischen sich eben auch Farben aus darunterliegenden Farbschichten. Mal deckt die Farbe eine andere ab, mal vermischen sie sich und mal nimmt eine Stelle auch gar keine Farbe an. Es ist ein kreativer Prozess der sich stark an der Beobachtung orientiert, was ich da gerade mache. Meistens habe ich zwar vorab eine Idee in welchen Farbtönen ich malen will. Aber immer kommt etwas anders heraus als ich dachte. Es ist stets ein Prozess von Werden und Vergehen. Mit einer Farbe kann alles wunderschön werden oder auch verdeckt und zerstört werden. Ich muss allerdings den damit gegebenen Prozess aushalten: Scheitern und Gelingen. Ich muss mich überraschen lassen, was werden will, was sich mir zeigt. Und dann zeigt sich auf einmal die Seele des Bildes, so würde ich es nennen. Es zeigt sich, was werden wollte. Das mag ein Farbverlauf sein. Eine Figur, eine Form, ein Gesicht, die ohne Absicht geworden sind. Und ich erahne: Jetzt ist das Bild fertig. Jetzt ist es inspiriert. Da hat sich gezeigt, was sich zeigen wollte und sollte.

Über die Jahre habe ich schon viele Bilder gemalt. Und es wäre vermessen, alle gewordenen Bilder als beseelte Bilder zu beschreiben, das wäre übertrieben. Aber es gibt sie. Die inspirierten Bilder, die inspirierte Kunst, die etwas in mir auslöst. Nicht nur im Malprozess, im dem ich im kreativen Schaffen spüre, wie der Atem schneller geht, nicht nur weil es anstrengend ist. Oder mein Herz höher schlägt, weil ich Angst habe, dass ich nicht rechtzeitig aufgehört habe mit dem Malen und das entstandene Bild sich wieder zerstört. Zum Glück durchpulst mich aber eben auch die Freude, weil ich etwas Besonderes entdeckt – ja, geschaffen habe. Das alles sind inspirierte Momente des künstlerischen Schaffens.


Musik IV: „Veni Creator Spiritus“ (Taizé)


Für mich ist Malen eine Inspiration. Aber es gibt wahrscheinlich viele Formen der Inspiration. Eine ist sicherlich das Schauen. Der Moment, wo man etwas Besonderes sieht und staunt. Ein Kunstwerk, ein Blick über das weite Meer, ein Sonnenaufgang. Da ist irgendetwas, das sie anrührt. Irgendetwas fasziniert sie. Sie spüren ein Kribbeln, vielleicht im oberen Rücken oder Nackenbereich. Und sie ahnen, das, was sie hier sehen, ist inspiriert, beseelt.

Oder vielleicht stockt ihnen auch nur für einen Moment der Atem. Bis sie dann wieder neu inspiriert werden: eingehaucht und beseelt.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein inspiriertes Pfingstfest, ob in einer intimen Begegnung mit einem Freund oder einer Freundin, ob in der Meditation, in der Kunst oder einfach nur beim Staunen.

Atmen sie doch einfach bewusst zwei-, dreimal aus und ein. Wer weiß, was sie da inspiriert.

Aus Essen grüßt Sie Stefan Wiesel


Musik V: Veni sancte Spiritus (Taizé)


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