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Das Geistliche Wort | 11.06.2023 | 08:40 Uhr

In einem anderen Licht

Um das Jahr 1590 erreicht ein weit gereister Reiter endlich sein Ziel, die Stadt Rom.

Es ist der Renaissancegelehrte Michel de Montaigne.

Wortgewandt erstattet der wissensdurstige Besucher an seine Freunde Reisebericht über seine Beobachtungen aus der ewigen Stadt gegen Ende eines ereignisreichen Jahrhunderts.

Eine Nebensächlichkeit sticht für mich dabei heraus:

Die zahllosen Nebenkirchen der heiligen Stadt sind noch unverhältnismäßig bilderlos.

Und das obwohl große Maler der Renaissance hundert Jahre zuvor bahnbrechende Werke geschaffen hatten:

Botticelli, Raffael und Michelangelo, um nur einige wenige von ihnen zu nennen.

Wer heute durch Rom geht und neben den Renaissancewerken die teilweise überbordenden Pracht in den unzähligen Kirchen sieht,

kann sich kaum noch vorstellen, was Michel de Montaigne da beschrieben hat.

Man kann heute nur staunen, was seit Ende des 16. Jahrhunderts in Rom künstlerisch entstanden ist:

Die Stadt steht zu Montaignes Zeit an der Schwelle einer künstlerischen Zeitenwende.

Der Barock bricht an,

die Finanzen sind stabil

und bald werden Heerscharen von Künstlern einfallen und die Stadt gefühlt bis in die letzten Seitenkapellen und Hinterkammern bebildern.

Aus der Sicht der Päpste dieser Zeit ist die darstellende Kunst zum Leben Christ und der Heiligen ein willkommenes Werkzeug

der Re-Katholisierung und geistlichen Bildung des einfachen Volkes.

Am Vorabend dieses barocken Zeitalters in Rom wagt es auch ein Mann, der später unter dem Namen der lombardischen Geburtsstadt seiner

Eltern bekannt wurde.

Ein aus heutiger Sicht ungeschlagener Meister im Spiel von Licht und Schatten, der Darstellung des Göttlichen und ganz Menschlichen:

Michelangelo Merisi – da Caravaggio.

Ich bin Mathias Albracht und möchte heute Früh mit Ihnen ausgehend von einem Bild von Michelangelo Merisi da Caravaggio

einen Blick auf das Evangelium aus den katholischen Gottesdiensten von heute werfen, die Berufung des Matthäus.


Musik I: Prayers for Peace: Lighten our Darkness - Tenabrae, Short, Nigel


Treten wir ein in die kleine Kirche San Luigi dei Francesi nahe der römischen Piazza Navona in Rom, in der sich Großartiges verbirgt.

Für mich persönlich ein gewaltiges Artefakt des Glaubens.

Es ist ein Gemälde eines Bilderzyklus in einer kleinen Seitenkapelle der Kirche:

„Die Berufung des Matthäus“, eben von jenem Caravaggio.

Ein – zugegeben – für seine Zeit mehr als gewagtes Bild:

Denn es zeigt auf zunächst erstmal viel dunkle Fläche.

Das düstere Schwarz eines Innenraums ist die dominierende Farbstimmung der dargestellten Szene.

Um einen Tisch im unteren, linken Bildviertel haben sich einige Personen gruppiert. Alle sind sehr typisch gekleidet für die Zeit des Künstlers:

Wir befinden uns ja am Vorabend des Barock.

Hier sitzt auch der Protagonist der biblischen Erzählung, aus dem neunten Kapitel des Matthäusevangeliums, um die es geht: der Zöllner Matthäus oder auch Levi, wie er in anderen Evangelien bei Markus und Lukas genannt wird.

Auf sein Gesicht fällt ein Lichtstrahl,

der als gemalter Kontrast zum düsteren Setting erst recht in Erscheinung tritt:

Wie von einem Scheinwerferspotlicht beleuchtet, mit aufgerissenen Augen, deutet er mit seinem Zeigefinger fast erschreckt auf sich selbst.

Oder zeigt er gar auf seinen Nachbarn?

Er scheint sich selbst unsicher zu sein: „Wer ist hier eigentlich gemeint,

ich oder der hier neben mir?“

Dieser Nachbar sitzt ganz am linken Bildrand die Unterarme auf den Tisch gelehnt. Mit den Fingern schiebt er kaum erkennbar im halbdunkeln

Münzen über die Tischplatte.

Klar, bei den Zöllnern geht es ums Geld.

Und Zöllner zur Zeit Jesu waren nicht sehr geachtet.

Ihnen ging der Ruf voraus, sich selbst auf Kosten anderer zu bereichern und mit den römischen Besatzern zu kollaborieren.

Sein Kopf ist vornübergebeugt, so dass der Lichtschein gerade über seinen Kopf hinweggeht.

Menschen im Zwielicht.

Die durch den plötzlich einbrechenden Lichtstrahl auf Matthäus entstehende Dynamik, ja Momenthaftigkeit der Handlung

wird noch verstärkt durch Gesten und Blicke der anderen Personen.

Ein Jüngling und auch ein rücklings dargestellter Mann schauen ebenfalls in Richtung der Lichtquelle.

Und da ist noch etwas Bemerkenswertes:

Unterhalb der verborgenen Quelle des einbrechenden Lichtstrahls steht noch eine weitere Person, die wiederum von einer anderen Person fast ganz verdeckt wird. Beide haben, so scheint es, gerade erst den schummrig dunklen Raum betreten, oder sind noch dabei.

Ist es der Wirt…? Ein weiterer Gast und sein Begleiter?

In jedem Fall: Das Licht scheint den beiden eintretenden Besuchern in den Rücken.

Die meisterhafte Lichkomposition des Bildes verbindet beide mit den anderen Personen im Bild.

Blicke und Gesten tun ihr Übriges, um hier eine unmittelbare Begegnung einzufangen:

Ein gewaltiges Bild.

Ein in unzähligen Stunden um Stunden gemalter Schnappschuss.

Ein kurzer Moment, der wohl sagen will: Ab jetzt ändert sich hier alles.


Musik II: Locus Iste - Voces8


Der gemalte Schnappschuss des Caravaggio lässt sich durch den Text des Matthäusevangeliums aufschlüsseln:

Der Mann, der halb verdeckt die düstere Szene betritt,

kaum zu erkennen und selbst ganz mit dem Schatten verwoben, ist Jesus.

Die Hand erhoben unterstreicht der Handrücken als visualisierte Parallele den einfallenden Lichtstrahl.

Dabei erinnert die Hand erinnert wohl bewusst an ein anderes Gemälde:

Die Erschaffung des Adam von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle des Vatikans.

Die Hand des Schöpfers, die das Leben erweckt. Mit einem einfachen Fingerzeig.

Caravaggio betont die inhaltliche Analogie: Jesus wird Matthäus aus seinem bisherigen Leben herausrufen und zu neuem erwecken.

Diese Geste und das das Bild durchfahrende Licht sagen wider alle Zweifel:

Der da soll es sein.

Aller Verwirrung, Unsicherheit und aller Bedenken zum Trotz.

Das ganze Setting: großes Kino für mich und nicht plump und bis zum Kitsch verkommenes Aufstrahlen von Erwählung

in Hollywood-Manier.

Die Erzählung von der Erwählung des Matthäus ist eine Geschichte, die mir gefällt und nahe geht.

Sie zeichnet in aller Kürze und mit knappen Worten das Bild eines Gottes,

der weit jenseits der erwartbaren Konventionen handelt und sich in den Menschlichkeiten des Lebens, in Schatten und Licht bewegt

und dort so etwas wie Verwandlung schafft.

Aus dem Zöllner, dem Sünder und Kollaborateur wird der Apostel.

Und das ist der Moment, in dem es beginnt.

Caravaggio hat die an sich wortkarge Bibelerzählung bewundernswert malerisch eingefangen.

Auf das Entdecken des Matthäus im Zollhaus folgt der Zuruf Jesu: “Folge mir.”

Im Evangelium kann man dann nachlesen: „Da stand Matthäus auf und folgte ihm.“


Keine Begründung, kein Dialog der beiden Hauptfiguren.

Bloß der Moment einer kosmologischen Erkenntnis und Stimmigkeit in Gott.

Mitten im Alltag geht einem ein Licht auf.

Und er steht auf und geht.

Der Ausbeuter kriegt die Kurve.

Ins Dämmerlicht bricht ein Lichtstrahl einer plötzlich geöffneten Tür.

Ohne viele Worte.

Aber existenziell. Oder mit der Malerei des Caravaggio formuliert:

Etwas strahlt in einem anderen Licht auf.


Musik III: Holy ist he true light - The Cambridge Singers, John Rutter


Caravaggios Bild von der Berufung des Matthäus ist eine Inszenierung von Licht und Schatten.

Anfang der 30er-Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts erschien in Japan ein kleines Essay. Es trug den Namen „Lob des Schattens“ und war ein Werk des Schriftstellers Tanizaki Jun’Ichiro. Es fiel mir vor ein paar Jahren zufällig in die Hände.

Ich denke relativ oft an dieses Büchlein.

Denn so wenig mir der detaillierte Inhalt aller Kapitel dieses exzentrischen Essays über japanische Ästhetik zu Beginn des 20. Jahrhunderts überhaupt erinnerlich ist, so sehr bleibt mir aber ein Gedanke im Kopf, der sich im Titel des kleinen Buches widerspiegelt:

Ein Lob auf den Schatten.

Daran muss ich denken, wenn ich Caravaggios Gemälde von der Berufung des Matthäus vor Augen habe.

Was ist damit gemeint, Lob des Schattens?

Als Beispiel führt Tanizaki Jun’Ichiro dazu die Vergoldung von japanischem Tempelinterieur an: Das Gold ist nicht sein Zweck an sich.

Das Gold ist nicht des Goldes selbst wegen Teil des sakralen Interieurs.

Sein Zauber entfaltet sich im Schatten!

Im Schatten wird es zur Spielwiese der Lichtquellen.

Ob nah, fern, schwach oder stark, das Licht findet seinen Widerschein

in goldenem Glanz.

Gemeint ist damit im übertragenen Sinne:

Das Göttliche Licht spiegelt sich im Tempelbau wider, gemacht von Menschenhand, die allerdings den göttlichen Erleuchter niemals ergreifen – und begreifen wird. Zumindest nicht in diesem Leben.

Das sich spiegelnde Licht verweist auf eine andere Kraft.

Ich finde das einen schönen Gedanken!

Ich kehre noch einmal nach Rom zurück.

Erst vor kurzer Zeit wurde der römische Petersdom innen neu ausgeleuchtet.

Eine deutsche Firma hatte es sich zum Ziel gemacht, dort alles „hell wie am lichten Tag“ zu machen. Die beste LED-Technik wurde mit einer grandiosen Energieersparnis von nahezu 90% verbaut. Toll!

Aber was vom vatikanischen Kunden vielleicht nicht übersehen wurde:

Man kann Dinge damit aber auch tot-beleuchten.

Wird der Glanz von Mosaiken und anderen Vergoldungen mit voller Kraft geradezu mit Licht unter Dauerfeuer genommen, so verliert er seine Lebendigkeit.

Ohne Frage sieht es trotzdem schön aus und man bemerkt plötzlich ganz andere handwerkliche Details, aber: Der Zauber des Widerscheins bleibt aus.

Weniger ist manchmal mehr.

Und manchmal machen Dämmerlicht und Schatten erst den Kontrast,

die Tiefenschärfe und die Dynamik eines Bildes aus und erzeugen dadurch

– wie bei Caravaggios Bild von der Berufung des Matthäus –

eine eigene, lebensnahe Dramatik.

Das Spiel der göttlichen Erleuchtung findet im Matthäus einen Grund,

auf dem Gott seine lebendigen Spuren hinterlässt und so aufblitzt,

dass auch andere sich zu diesem Licht wenden und seine Quelle ausmachen wollen, und zwar mitten im Alltag.


Denn: Gott braucht nicht den idealen Moment.

Die Kulisse hat keinen Wert.

Gott scheint in seiner Macht auf, wann und wo er will.

Vielleicht dann, wenn man es selbst am wenigsten erwartet.

Und schon erstrahlt eine Szene in einem anderen Licht.

Seinem Licht.


Musik IV: Lux Aeterna: O Nata Lux - Lauridsen, Morten Halubek; Jörg Chamber Choir of Europe; Matt, Nicole


Was Michelangelo Merisi da Caravaggio da in unnachahmlicher Kunst auf Leinwand bannte, ist der Einbruch des Besonderen in das Gewöhnliche.

Ein Bild, das Hoffnung geben sollte und einen heiligen Zweifel streuen kann.

Gibt es ihn vielleicht doch, den intervenierenden Gott?

So auf seine ganz eigene, dezente Art?

Wer weiß das schon mit Sicherheit.

Aber warum sollte das nicht möglich sein.

Darauf will ich als Christ hoffen, zum Beispiel dann,

wenn ich Jesu Gedächtnis - gemäß seines eigenen Aufrages - im Teilen von Brot und Wein feiere, in dem er verspricht, selbst unter den Menschen zu sein.

Ganz gegenwärtig im Alltäglichen.

Ausstrahlend in profanen Gestalten von Brot und Wein.

In der zurückliegenden Woche haben Katholiken Fronleichnam gefeiert.

In einer vergoldeten Monstranz haben sie vielerorts das kleine unscheinbare Brot durch die Straßen von Dörfern und Städten getragen, wie es jahrhundertealter Brauch ist. Ob mir dabei die Ästhetik dieser Zurschaustellung zusagt,

das sei mal dahingestellt. Einen lohnenden Gedanken aber, der mir hilft, dieses Fest zu verstehen und in Ehren zu halten, finde ich:

Was hier gezeigt wird, soll ganz einfach ausdrücken: der Glaube an die Gegenwart Gottes in der Welt beginnt nicht im nach menschlichem Ermessen Großartigen, sondern im Einfachsten. Wohin Gottes Licht fällt, das bestimmt es selbst.

Caravaggios Berufung des Matthäus war ein Bild, das neue Maßstäbe gesetzt hat und sicherlich seine kunsthandwerklichen Zeitgenossen in Staunen oder ins Schwitzen gebracht hat.

Was bleibt, ist für mich eine gekonnte Darstellung.

Ich mag‘s wirklich nochmal so nennen: einen gemalten Schnappschuss von Gottes Wirken im Leben von Menschen, auf das man hoffen darf.


Es beginnt im Ganz-Alltäglichen und vielleicht gerade jetzt.

Vielleicht hat Caravaggio seine Figuren deswegen bewusst in zeitgenössischer Aufmachung gemalt.

Würde er sie heute nochmal malen, sie sähen vielleicht aus wie Sie oder ich.


Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ich wünsche auch Ihnen,

erhellende mit Licht durchsetzte Momente der Begegnung mit etwas Großem.

Mitten im Alltag.


Ganz herzlich Grüße ich Sie aus Münster.

Ihr Pastoralreferent Mathias Albracht.

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