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Kirche in WDR 5 | 07.07.2023 | 06:55 Uhr
Lippstädter Friedenseiche
Am vergangenen Wochenende war ich – wie jedes Jahr Anfang Juli – in meiner Geburtsstadt Lippstadt. Da ist dann nämlich Schützenfest und das ist für mich der jährliche Dreh- und Angelpunkt, meine alte Heimat wieder zu sehen. Ich treffe alte Bekannte und Schulkollegen und dabei sehe ich auch, wie sich das Gesicht der Stadt Jahr für Jahr verändert. Und weil ja Hochsommer ist, war mir vor allem eines aufgefallen: Der Schatten fehlte. Immer wenn unser Lippstädter Schützenverein bislang auf dem Rathausplatz angetreten war, hatte zumindest eine Kompanie das Glück, im Schatten einer großen alten Eiche zu stehen. Diese wurde 1872, also ein Jahr nach dem deutsch-französischen Krieg, direkt am Chorraum der Großen Marienkirche gepflanzt: Die Friedenseiche von Lippstadt gehörte einfach zum Stadtbild.
150 Jahre stand also diese Friedenseiche an diesem Platz, erlebte Friedenszeiten, aber auch zwei Weltkriege. Sie spendete Schatten all denen, die auf einer der Bänke unter ihrer gewaltigen Krone platzgenommen hatten. Und ausgerechnet eine „Linde“ hat der Eiche dann letztes Jahr den Garaus gemacht, genauer: Das Sturmtief „Emmelinde“. Am 20. Mai verwüstete ein Tornado nicht nur Teile von Paderborn, sondern auch Teile von Lippstadt. Binnen weniger Sekunden fiel dabei auch dieser gewaltige Baum auf den Rathausplatz einfach um.
Was besonders bitter war: Die Friedenseiche fiel ja in einem Jahr, in dem in Europa nach Jahren erneut ein Krieg
ausgebrochen war. An der Stelle, wo sie einst stand, klaffte nun ein Loch. Sechs
Wochen nach dem Tornado waren zwar wesentliche Schäden des Unwetters wieder
beseitigt, aber auch jetzt beim Schützenfest konnte ich noch an einigen Stellen
in der Stadt sehen, was am 20. Mai 2022 passiert war. Und als wir dann auf dem Rathausplatz
angetreten sind, hatte keiner von uns mehr Hoffnung, einen Platz im Schatten
der
großen Eiche zu bekommen.
Jetzt mussten alle in der Sonne stehen.
Zumindest das große klaffende Loch war weg. Denn ein Jahr nach dem verheerenden Tornado wurde der Platz neugestaltet, an dem die Eiche stand. Die evangelische Kirchengemeinde, auf deren Grund der Baum stand, will jetzt nachhaltige Bäume und Stauden anpflanzen. Und ein Teil der Friedenseiche soll als Skulptur an ihren ehemaligen Platz zurückkehren.
Und noch etwas: Als Arbeiter nach dem Tornado die Schäden beseitigten und zwischendurch mal eine Pause machen mussten und dazu auf der gefallenen Eiche Platz nahmen, da hielt die Künstlerin Rosa Hupfeld diese Szene in einer Aquarellzeichnung fest. Die Zeichnung wurde versteigert und der Erlös kam dem Verein Lippstädter Grün zugute, der sich für die Wiederaufforstung und Wiederbegrünung der Stadt einsetzt. Das Interesse der Öffentlichkeit in Lippstadt dafür war groß. Und so wurden von der Originalzeichnung 183 Kunstdrucke angefertigt – ein Bild fu?r jedes Lebensjahr des Baumes.
Ich finde diese Idee einfach grandios: aus Zerstörtem Neues zu entwickeln. Mir kommt dabei ein Bild aus dem Buch Hiob in den Sinn. Da heißt es: „Denn für den Baum besteht noch Hoffnung: Ist er gefällt, so treibt er wieder, sein Sprössling bleibt nicht aus. Wenn in der Erde seine Wurzel altert und sein Stumpf im Boden stirbt, vom Dunst des Wassers sprosst er wieder und wie ein Setzling treibt er Zweige“ (Hiob 14,7-9). Nun ist zwar die Lippstädter Friedenseiche durch den Tornado nicht nur gefällt, sondern völlig entwurzelt worden, so dass dieser Baum biologisch sicherlich nicht mehr wieder austreiben wird. Aber in der Kreativität derer, die nun den Platz neu begrünen, da sprossen seine Zweige in Form von Ideen, wie das Beispiel mit dem Aquarell zeigt.
Neue Hoffnung schöpfen, auch wenn die Situation zunächst hoffnungslos aussieht, das haben die Lippstädter mit ihrer Friedenseiche gezeigt.
Einen hoffnungsvollen Tag voller Kreativität wünscht Ihnen Ihr Jan Hendrik Stens aus Köln.
