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Das Geistliche Wort | 09.07.2023 | 08:40 Uhr

„Von der Lust und der Last – vom Schweren und Unbeschwerten“

Guten Morgen!

Voller Freude, ja – voller Lust freue ich mich auf meinen Urlaub. Nichts Besonderes, nichts Spektakuläres: zwei Wochen Wandern in der Pfalz mit lieben Menschen.

Ja, auch auf den Pfälzer Wein freue ich mich.

Unbeschwerte Tage, Zeit haben, keine terminlichen Verpflichtungen, den ganzen Tag in der Natur an der frischen Luft… einfach mal durchatmen!

Vielleicht haben Sie ja ganz andere Urlaubspläne, aber Sie ahnen zumindest, was ich meine. Es muss ja nicht das Wandern in der Pfalz und der Pfälzer Wein sein, aber ich vermute ´mal, die Sehnsucht nach einer unbeschwerten Zeit, nach einer Zeit, in der Leib und Seele aufatmen können – die verbindet viele von uns.

Klar, wir alle brauchen eine Balance zwischen Anstrengung und Erholung, Arbeit und Freizeit, in Anspruch genommen werden und Muße.

Die tagtäglichen Herausforderungen und Ansprüche, die ich erlebe, haben für mich etwas Anstrengendes – aber das ist irgendwie zu managen. Und das ist zunächst etwas sehr Subjektives. Das ist meine persönliche Wahrnehmung, mit der ich umgehen muss. Aber ich vermute: jede und jeder von ihnen wird solche tagtäglichen Herausforderungen kennen.

Aber dann gibt es da auch noch die Herausforderungen, die weit darüber hinausgehen. Oft kommt es mir in den letzten Monaten und Jahren so vor, als sei der Zustand dieser Welt, unserer Gesellschaft außergewöhnlich belastend, ja krass: der Krieg in der Ukraine, der weiter fortschreitende Umwelt- und Klimawandel und die vielen Menschen auf der Flucht. Über 110 Millionen sind es derzeit weltweit – so das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen. Die Zahl war noch nie so hoch wie heute und umfasst Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, weil ihnen das Notwendige zum Leben genommen wurde, die Asyl suchen in anderen Ländern wegen politischer Verfolgung und die auch in ihrem eigenen Land auf der Flucht sind. Hinzu kommen hierzulande die Entwicklungen in Politik und Gesellschaft und schließlich die Entwicklungen in meiner Kirche. All das liegt mir oft schwer auf der Seele. Und ich frage mich: Wie soll ich damit umgehen?


MUSIK I


Wie kann ich, wie können wir mit den vielen Belastungen – nicht nur im persönlichen Leben, sondern auch mit Blick auf die großen Probleme der Welt und unserer Gesellschaft – so umgehen, dass es nicht krank und hilflos macht?

Wie und wo finde ich die Kraft, all den Herausforderungen standzuhalten? Oder, wie es der Schweizer Theologe und geistliche Begleiter Pierre Stutz formuliert hat: Wie bleibe ich angesichts all dessen in meiner Kraft?

Stutz spricht von einer großen Hoffnung, mit der er unterwegs ist, dass nämlich in jedem Menschen eine unerschöpfliche Kraftquelle zu finden ist, die stärkt und trägt. Und das gilt nicht nur für die leichten, lustvollen Episoden des eigenen Lebens, sondern auch für das mühsame Durchschreiten von Durststrecken und Verunsicherungen. Stutz ermutigt sich selbst und andere, achtsam zu sein und in die eigene Kraft zu finden. Denn genau dadurch scheint eine göttliche Kraft durch uns und in uns auf, so seine Erfahrung.[1]

Ich wage einen Sprung zu einer der zentralen Einladungen Jesu an die Menschen. Da sagt Jesus im Matthäusevangelium (Mt 11,28)[2]: „Kommt alle zu mir; ich will euch die Last abnehmen und euch (den) Frieden schenken.“

Wenn Jesus einlädt, zu ihm zu kommen, damit er jedem Menschen alle Last abnehmen und Frieden geben möchte, dann ist das für mich keine Selbstverständlichkeit und schon gar kein Automatismus. Denn wie oft fragt er die Menschen zunächst: „Was soll ich dir tun?“ und wie oft sagt er: „Dein Glaube hat dir geholfen?“ Für mich klingt darin an: „Achte zunächst auf dich selbst. Schau auf die Kräfte, die schon längst in dir sind. Entdecke sie neu! Entdecke die Kraft, die dir Ruhe und Frieden bringt! Sie ist dir längst geschenkt.“ Ja, das hört sich gut an, das möchte ich glauben. Und gleichzeitig denke ich unmittelbar: Ich brauche da Hilfe, Anleitung, Ermutigung, denn ich spüre: Es ist eine lebenslange Aufgabe und starke Herausforderung. Pierre Stutz scheint das Problem zu kennen, denn er berichtet: „In meiner 20-jährigen Kurs- und Vortragsarbeit hat sich herauskristallisiert, wie heilsam es sein kann, wenn wir die Angst vor unserer Größe verlieren, ohne größenwahnsinnig zu werden.“[3]

„Die Angst vor der eigenen Größe verlieren…“. Das klingt zunächst einmal etwas sonderbar. Ich verstehe Stutz so, dass er mir Mut macht, groß von mir zu denken; nicht, weil ich so ein toller Typ wäre, sondern weil es in mir, in jedem Menschen einen göttlichen Kern – so möchte ich es nennen – gibt. Der ist vielleicht verschüttet, aber er ist da.

Ich spüre, die entscheidende Hilfe könnte für mich darin liegen, der Zusage zu glauben, dass das Wesentliche, das Hilfreiche, ein starker Glaube mir schon längst geschenkt sind, also schon längst in mir sind. So verstehe ich Stutz, wenn er von der Größe in mir und in jedem Menschen spricht. Und darin bringt er zum Ausdruck, was Jesus den Menschen immer wieder sagt: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Das Problem scheint doch eher zu sein, dass ich das oft nicht von mir glauben kann, ja, vielleicht sogar Angst habe vor dieser Großartigkeit in mir.

Stutz selbst verdankt seine Einsichten als leidenschaftlicher Kinogänger vielen Kinofilmgeschichten. In den zahlreichen Filmen begegnet er ganz unterschiedlichen Menschen, die jeweils zu ihrer Kraftquelle finden. Wir brauchen das Weitererzählen von ermutigenden Lebensgeschichten. Daraus können wir für uns selbst unglaublich viel Mut und Zuversicht schöpfen. Und die braucht es, damit ich mich nicht nur um mich selbst drehe, sondern mich aktiv für eine gerechtere Welt einsetze.

Es geht um die gute Balance, die ich finden kann, wenn ich regelmäßig aus meiner Kraftquelle schöpfe.

Mir hilft es z.B., jeden Tag mit einer halbstündigen Meditation in Stille zu beginnen. In dieser Zeit übe ich ein, ganz von der göttlichen Geistkraft durchdrungen zu sein, die in mir wie in jedem Menschen lebendig ist. Das hilft mir konkret, die Herausforderungen des Tages anzunehmen und die konkreten Aufgaben anzugehen. Und ich erlebe, dass mir an Tagen, an denen mir die morgendliche Meditation aus irgendeinem Grund nicht gelingt, etwas Wesentliches fehlt.


MUSIK II


Regelmäßig möchte ich aus meiner Kraftquelle schöpfen und eine gute Balance finden. Einerseits möchte ich in mir immer neu aus der Kraftquelle in mir schöpfen, die längst schon da ist. Und dann möchte ich aus dieser Kraft mich aktiv einbringen und engagieren, wo ich gebraucht werde.

Ich bin überzeugt: Um die Welt mit all den aktuellen Herausforderungen gerechter und besser zu gestalten, braucht es viel Kraft und Anstrengungen. Und die finde ich nur, wenn ich auf meine innere Kraftquelle zurückgreife. Dazu gehört das regelmäßige Innehalten. Es braucht neben dem Zupacken die Gabe des Auftankens. Ich bin mir bewusst, dass es immer wieder das Einüben braucht, um mehr bei mir selbst zu sein, damit ich die Kraft habe, zum Beispiel meine Stimme zum Protest zu erheben. Die erste Frage heißt dann allerdings nicht: „Was muss ich tun?“, sondern: „Woher nehme ich die Kraft, um das Notwendige tun zu können?“ Es geht nicht um den Appell „du sollst, du musst“, sondern es geht zuerst einmal um das Bemühen, gut und selbstverantwortlich mit mir selbst zu sein. Im Bild gesprochen: Ich möchte das innere Feuer spüren und nähren, ohne dabei auszubrennen. Ich möchte aktiv sein und bleiben im Spannungsfeld zwischen Engagement und Rückzug.

Dag Hammarskjöld (1905-1961), zweiter UNO-Generalsekretär, ist mir in dieser Hinsicht ein guter Wegbegleiter. Nach seiner Wahl zum Generalsekretär im April 1953 hat er als ersten politischen Akt im UNO-Hauptgebäude in New York einen Raum der Stille und der Leere eingerichtet, den man bis heute dort besuchen kann. Er hat damit einen Hinweis gegeben, der weit über die Mitarbeiter der Vereinten Nationen in New York hinausreicht: Hammarskjöld hat gezeigt, was es braucht, damit wir uns nicht in den vielen Herausforderungen aufreiben. Es kommt nämlich darauf an, bei sich zu bleiben, einfach sein zu dürfen. Das ist genauso lebensbejahend und wirksam wie sich ein- und auszusetzen für eine gerechtere und zärtliche Welt.[4]

Dazu passt das, was Pierre Stutz sagt, wenn er den chinesischen Philosophen Lao-Tse zitiert. Der soll im 6. Jahrhundert vor Christus gelebt haben und die Kraft, die im Nicht-Tun liegt in den Worten verdichtet haben:

„Weniger, immer weniger ist zu tun,

bis man beim Nicht-Tun ankommt.

Ist man beim Nicht-Tun angekommen,

bleibt nichts ungetan.“[5]


MUSIK III


„Weniger, immer weniger tun … Ist man beim Nicht-Tun angekommen, bleibt nichts ungetan.“ Das hört sich zunächst paradox an: Wenn ich nichts mehr tue, dann ist alles getan. Ich glaube, es geht nicht so sehr um das Ergebnis, das alles getan ist, sondern um den Weg dorthin: nichts zu tun. Dahinter steckt eine Haltung und die will gelebt sein. Pierre Stutz gibt dazu sehr konkret, sogenannte „Kraftübungen für den Alltag“ mit auf den Weg. Er sagt: „Auf einem spirituellen Weg braucht es ein konstantes Training wie beim Sport, beim Lernen einer Fremdsprache, beim Musizieren. Entscheidend ist die Grundhaltung: Übung, Regelmäßigkeit, Dranbleiben ist wichtig, obwohl existentielle Themen nie ‘machbar‘ sind wie beispielsweise das Erlernen eines Musikstücks oder einer Turnübung.“[6]

Konkret schlägt er vor, mit einem achtsamen Atmen anzufangen. So kann ich Verkrampfungsreflexe verwandeln, indem ich den Tag hindurch beim Aufstehen, beim Gehen von einem Raum in den anderen tief ein- und ausatme, meine Schultern lockere, meinem Leib Entspannung gönne. Oder in schwierigen Situationen, in denen mich Angst lähmt, soll ich auf meine Körperhaltung achten: Meine Füße stehen fest auf dem Boden und ich atme tief ein und aus. Das kann mich von innen her aufrichten. Und ich mache die Erfahrung: Je mehr ich gefordert bin, desto mehr achte ich auf einen festen Stand, damit ich meinen Stand-Punkt einbringen kann.

Pierre Stutz ist wichtig, Leben und Handeln nicht in Persönliches und Politisches aufzuspalten, weil alles, was wir tun, auch eine gesellschaftliche Bedeutung hat. Als Frage formuliert: Was kann mir helfen, mein „Bei-mir-sein“ auch als sozialen Beitrag für die Welt zu verstehen?[7]


MUSIK IV


Ja, ich weiß. Ich werde die gewaltigen Herausforderungen dieser Welt nicht einfach lösen. Aber ein Schritt hin zu einer Lösung ist doch, bei mir zu bleiben, um aus der in mir gefundenen inneren Kraft gleichzeitig verantwortlich diese Welt mitzugestalten. Dahin führt mich jedenfalls der Übungsweg, den Pierre Stutz vorschlägt: Achtsam bei sich anzufangen und meine Kraft zu finden.

Und so will ich schließen mit einem Gedanken des amerikanischen Trappistenmönchs Thomas Merton (1915 – 1969), der offenbar diesen Weg in sich hinein gegangen ist, um aus sich heraus zu wirken, mit einer überraschenden Erkenntnis: Er sagt: „Vielleicht bin ich stärker, als ich denke. Vielleicht fürchte ich mich vor meiner Stärke und wende sie gegen mich selbst, um mich selbst schwach zu machen. Vielleicht fürchte ich am meisten die Stärke Gottes in mir.“[8]

Dass Sie Gottes Stärke in sich spüren, das wünsche ich Ihnen

Ihr Pfarrer Frank Reyans aus Grefrath


MUSIK V


[1] Vgl. Pierre Stutz, Geh hinein in deine Kraft. 50 Film-Momente fürs Leben, Freiburg 2015, S.7

[2] Übersetzung: Albert Kammermayer, Das Neue Testament. Eine Übersetzung, die unsere Sprache spricht, München 2005.

[3] Pierre Stutz, Geh in deine Kraft, S.7.

[4] Vgl. Pierre Stutz, Geh in deine Kraft, S.35-37.

[5] Zitiert bei: Pierre Stutz, Geh in deine Kraft, S.37.

[6] Pierre Stutz, Geh in deine Kraft, S.47.

[7] Vgl. Pierre Stutz, Geh in deine Kraft, S.47-49.

[8] Zitiert nach Pierre Stutz, Geh in eine Kraft, S. 78.

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