Beiträge auf: wdr5
Das Geistliche Wort | 24.09.2023 | 08:40 Uhr
DIESER BEITRAG ENTHÄLT MUSIK, DAHER FINDEN SIE HIER AUS RECHTLICHEN GRÜNDEN KEIN AUDIO.
IONA – Insel der Hoffnung
Autorin:
Die kleine Insel vor uns liegt im Nebel, als unser Schiff sich ihr nähert. Die Luft ist feucht, es hat soeben erst aufgehört zu regnen. Meine Augen suchen nach dem berühmten Kloster, in dem ich jetzt eine Woche zu Gast sein will. Seit 25 Jahren habe ich diesen Traum. So lange schon will ich genau hierhin, auf diese kleine unscheinbare Insel an der Westküste Schottlands, nach IONA.
Das Kloster auf dieser Insel war im Mittelalter ein Ort lebendiger Spiritualität und herausragender Bildung. Pilger, Gläubige, Mönche und Nonnen, ja auch Könige und Fürsten reisten hier an. Über Land, mit dem Schiff, zu Fuß oder auf Pferden. Um dann wieder fortzufahren, inspiriert, bereichert, mit frischem Wind in den eigenen Segeln.
Ich dagegen fühle mich erschöpft von zwei Tagen Anreise. Gefühlt liegt IONA für mich am Ende der Welt. Allein von Glasgow in Schottland aus habe ich acht Stunden gebraucht: Bummelzug, Fähre, Bus, noch mal Fähre…dazwischen Wartezeiten.
Wenn wir heute immer noch so lange brauchen, um an diesen Ort zu kommen: Wie war es möglich, dass ein gewisser Columban vor fast 1500 Jahren dieses kleine Fleckchen Erde ausgewählt hat, um ein neues Kloster zu gründen? Wie war es möglich, dass IONA für 600 Jahre eine so überragende Stellung in der Geschichte der keltisch-christlichen Kirche einnehmen konnte?
Musik:
Lordship of the Isles;
Komposition: Shaw, Matheson, Duff & McKerron; Interpreten: Capercaillie; Album: The Blood is strong, Label: Vertical Records; LC: 00242
Sprecher:
Im Jahr 521 wird in Irland ein Mann geboren, der für die Geschichte des Christentums in Nordeuropa von großer Bedeutung werden sollte. Columban war von königlicher Abstammung. Erst um 400 war das Christentum über Gallien und England in Irland bekannt geworden. Ohne Schwert und Blutvergießen. Irland ist das einzige Land Europas, in dem es eine friedliche Bekehrung zum Christentum gab. Denn die ersten Missionare, die in Irland anlegten, haben die Traditionen und den reichen Wissensschatz der Bevölkerung weitgehend respektiert. Die dort ansässigen vorchristlichen Priester, die Druiden, sahen häufig im Christentum eine Weiterentwicklung ihres Glaubens. Man fühlte sich eingebunden in den Rhythmus der Natur, in das Auf und Ab der Sonne, der Gezeiten, von Wind und Wellen.
Irland war damals ein besonderes Land in Europa: Denn Irland stand nie unter der Herrschaft der Römer. So konnte sich auf dieser Insel – weit weg von Rom - ein eigenständiges keltisch-christliches Leben entwickeln. Hunderte von autonomen Klöstern, die zugleich herausragende Bildungseinrichtungen waren, entstanden. Hier lebten Nonnen und Mönche – in sogenannten Doppelklöstern - zusammen mit Handwerkern und Bauern. Wir wissen von Frauen, die solche Klöster als Äbtissin anführten, wie die heilige Brigid.
Columban wird in diese Blütezeit des keltischen Christentums hineingeboren. Er erhält schon als Junge eine ausgezeichnete Bildung in einem der neuen Klöster und entscheidet sich, Mönch zu werden. Bis zu seinem 41 Lebensjahr wirkt er in Irland, bevor er sich über das raue Meer wagt Richtung Osten.
Autorin:
Mehrmals täglich fährt die Fähre zwischen der Isle of Mull und der Insel IONA hin- und Her. Kaum bin ich an Land, reißt die Wolkendecke auf. Nebelschwaden ziehen sich langsam vom Boden zurück und geben Stück um Stück die Farben frei. Das frische Grün der schottischen Wiesen, die Heidebüschel auf den Hügeln, die gerade zu blühen beginnen. Einige wenige kleine graue Häuser am Hafen, ein paar buntbemalte Boote, die verträumt in den Buchten liegen. Überschaubar wirkt die Insel. Ungefähr 150 Menschen leben hier noch. Und das auch nur, weil es das alte Kloster gibt, in dem heute die IONA-Kommunität wirkt. Zwischen April und November spuckt die Fähre mehrmals täglich Touristen aus, die ausschließlich kommen, um dieses Kloster zu besuchen. 65.000 – 70.000 sollen es pro Jahr sein. In den Wintermonaten dagegen versinkt die Insel im Schlaf. Der einzige Dorfladen öffnet nur für wenige Stunden. Manchmal, wenn die Winde des Atlantiks zu sehr stürmen und tosen und die Nebelschwaden jegliche Sicht versperren, bleibt die Fähre tagelang aus. Dann ist IONA sich selbst überlassen.
MUSIK: Calum’s Road; Komposition: Donald Shaw; Interpreten: Capercaillie; Album: The Blood is strong, Label: Vertical Records; LC: 00242
Sprecher:
Columban verlässt Irland im Frühjahr 563. Vermutlich hatte er sich mit dem König angelegt. Die genauen Hintergründe sind unklar. Die Legende sagt, er begab sich ins selbst gewählte Exil. Oder im Mönchsdeutsch gesprochen: Er begab sich auf Pilgerreise mit unbekanntem Ausgang. Peregrinatio. Er segelt einfach los, so lange, bis seine Heimat Irland nicht mehr zu sehen ist.
Columban ist nicht alleine. Zwölf Mönche begleiten ihn. Ihr Boot landet schließlich in einer kleinen geschützten Bucht im Süden der Insel IONA. Vermutlich leben dort schon ein paar Familien, die sich vom Fischfang, der Landwirtschaft und etwas Handel ernähren. Denn ganz im Gegensatz zu heute liegt IONA im Mittelalter an einer viel genutzten Handelsroute. Von Frankreich kommend ist die Meerenge zwischen Irland und England die beste Möglichkeit, um an den schottischen Inseln vorbei weiter nach Norwegen oder Island zu segeln.
Columban und seine Leute bleiben. Vorerst provisorisch. Doch der König von Schottland überlässt ihm – dem Mann aus königlichem Geschlecht – die Insel. So kann das Kloster sich etablieren, wachsen und gedeihen. Auf Grundlage einer sehr einfachen Regel, die in etwa so lautet: Bete täglich, faste täglich, studiere täglich, arbeite täglich.
Autorin:
Nach 500 Metern sind wir mit unserem Gepäck am Ziel. Der gedrungene Turm der Klosterkirche ist nicht zu übersehen. Die Tür steht offen. Ich trete ein. Erst in den alten Kreuzgang, dann über eine unscheinbare Treppe in das Wohngebäude. Tee und Kekse stehen zum Empfang bereit. Keine Mönche oder Nonnen. Denn die internationale ökumenische Iona Community versteht sich nicht als ein Orden, sondern als eine weltweite Bewegung. Sie hat sich der Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit verpflichtet und will Gebet und Gottesdienst erneuern. Die Gemeinschaft umfasst drei Gruppen: Ungefähr fünfzehn Personen, die zum festen, ständigen Personal gehören und für jeweils drei Jahre auf der Insel in Wohnungen leben. Dazu circa 30 Freiwillige aus aller Welt, die das Projekt für ein paar Monate unterstützen und dann heimkehren. Und dann wir: Gäste aus aller Welt, die für eine Woche dort wohnen, arbeiten und 2x am Tag Gottesdienst feiern.
„Arbeit und Andacht“ – „Work and worship“ – darum geht es, wird uns erklärt. Das Programm der Woche, die Gottesdienstzeiten, die Angebote der Community stehen fest. Der Wochenplan wird ausgeteilt. Alles ist gut vorbereitet.
Ich kann es indes immer noch kaum glauben, dass ich nun wirklich auf IONA bin. Bis zum Abendbrot ist noch etwas Zeit. Ich muss raus, mehr von dieser Insel sehen, die inzwischen schon wieder im Nebel liegt. Doch viel gibt es nicht: Schafe auf den Wiesen. Ein paar Kühe. Den Klosterladen, den Klostergarten, ein kleines Hotel, eine Bar direkt unten am Hafen. Und überall zum Greifen nah: Das Meer, der Wind, die grünen Wiesen.
Einige Stunden später sitze ich zum Nachtgebet zum ersten Mal in der Klosterkirche. Gemeinsam sprechen wir die Abendliturgie, singen Lieder, die ich nicht kenne. Aber jetzt langsam spüre ich, wie die Anspannung der Reise, wie Aufregung und Unruhe von mir abfallen.
Sprecherin:Die Nacht ist die Decke deines Friedens, Gott.
Der Rhythmus deiner Ruhe für alle Menschen.
Die Nacht ist der Mantel deiner Freundlichkeit, Gott.
Voller Vertrauen auf dich gehen wir schlafen,
überlassen dir diesen Tag,
Legen wir die Sorgen dieses Tages beiseite.
In unserem Schlaf sein du unser Begleiter.
In unserem Erwachen sei du das Geschenk des neuen Tages.
AMEN
MUSIK: Arrival Reprise; Komposition: Shaw, Matheson, Duff & McKerron; Interpreten: Capercaillie; Album: The Blood is strong, Label: Vertical Records; LC: 00242
Sprecher:
Columba lebt bis zu seinem Tod 597 auf IONA. Als Abt des Klosters ist er sehr umtriebig, gründet weitere Klöster und kirchliche Orte in Schottland und erwirbt sich als Abt von Iona in Europa große Anerkennung. Wie viele andere Wandermönche aus Irland oder Schottland reist er umher, um Menschen vom christlichen Glauben zu überzeugen. Ohne Gewalt. Nur durch Predigten und Gespräche in den Dörfern und Städten. Das entspricht seiner tiefen inneren Überzeugung.
Nach Columbas Tod wird das Kloster ein Zentrum für Pilgernde aus ganz Europa. Mehr als 40 schottische Könige wollen auf Iona begraben werden. Ihre Grabsteine sind zum Teil noch zu besichtigen.
Um 800 herum beginnen die Angriffe der Wikinger auf das Kloster. Ohne Rücksicht ermorden sie Mönche, plündern das Kloster und zerstören es. Mehrmals wird es wieder aufgebaut, schließlich aber doch aufgegeben. Im 13. Jahrhundert beleben Benediktinermönche den Ort ein weiteres Mal, bis die protestantische Reformation im 16. Jahrhundert dem Klosterleben endgültig ein Ende setzt. Erst im 20. Jahrhundert werden die alten Gemäuer wieder entdeckt.
Autorin:
„Man kann sich an diesen klaren Rhythmus gewöhnen“ denke ich nach ein paar Tagen auf IONA. Nach dem Frühstück das kurze Morgengebet in der alten Kirche. Dann die praktische Arbeit: Im Haus oder Garten, der Küche oder im Klosterladen. Zusammen mit zwei Männern aus England bin ich zum Putzen der Waschräume eingeteilt. Mit roter Schürze, weißen Eimern und pinken Handschuhen machen wir uns direkt nach jedem Morgengottesdienst an die Arbeit. Danach gibt es Workshopangebote für uns, die Gäste dieser Woche. Ich sitze neben einer Farmerin aus den USA, einem Studenten aus Kanada, einer Therapeutin aus London und einer Freiwilligen aus Kolumbien. Mein Englisch reicht nicht immer. Aber so nach und nach werden die Gesichter vertraut. Der gemeinsame Alltag verbindet auch ohne Worte.
Sprecher:
Mehr als drei Jahrhunderte lag das Kloster darnieder. Erst im 20. Jahrhundert,kurz vor Ausbruch des 2. Weltkrieges begann der schottische Pfarrer George Mac Leod den Ort mit Geistlichen und arbeitslosen Handwerkern in jahrelanger Arbeit wieder aufzubauen. Mitten in der Weltwirtschaftskrise ziehen die Männer bei Wind und Wetter die Mauern hoch, legen Rohre, bauen Fenster und Türen, decken das Dach. Die Spenden fließen, denn Pfarrer Mac Leod war ein Visionär mit mutigen Ideen, die viele überzeugten. Er lebt in Glasgow, einer Industrie- und Arbeiterstadt. Dort gründet er 1938 die Iona Community. Er will Kirche und Menschen wieder näher zusammenbringen, kirchliche Arbeit sozialer gestalten und die liturgische Sprache erneuern, um den Menschen zu zeigen, dass die Bibel uns mitten im Alltag etwas zu sagen hat. Moderne Musik, eine alltagsnahe Sprache in den Gottesdiensten, Akzeptanz aller Menschen und Lebensformen, der Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung unserer Umwelt – das sind seit ihrer Gründung die Anliegen der IONA Community. Das Kloster auf der Insel ist sozusagen ihr spirituelles Zentrum. Heute hat die Community mehrere tausend Freundinnen und Freunde in aller Welt. Über ihre Homepage kann man an den Gottesdiensten teilnehmen.
Autorin:
Jeden Abend um 21.00 Uhr treffen wir uns alle zum Nachgebet in der Klosterkirche. Für mich ist es der Höhepunkt des Tages. Die Tagestouristen sind dann längst weg. Die Bewohner der Insel haben sich in ihre Häuser zurückgezogen. Alle Arbeit ist getan. Der Kopf ist voller Bilder und Eindrücke. Draußen pfeift der Wind, während der Kirchraum mit vielen Kerzen erleuchtet wird. Bereits einige Minuten vorher erklingt Musik. Einfach nur sitzen, ausatmen, da sein. Zusehen, wie die Kirche sich füllt, jede und jeder einen Platz findet. Langsam einstimmen in die Liturgie, die jeden Tag von einer anderen Person aus dem Team geleitet wird. Die Themen wechseln. Mal beten wir für Frieden und Gerechtigkeit oder das Heilwerden von Mensch und Natur oder danken für alles, was uns geschenkt ist, Wasser und Brot. Am letzten Abend vor der Abreise geht es um die Frage: Wofür stehe ich ein? Mit meinem Leben? Meinen Werten. Meiner Kraft?
Musik:
The Lorn Theme; Komposition: Shaw, Matheson,
Duff & McKerron; Interpreten: Capercaillie; Album: The Blood is strong,
Label: Vertical Records; LC: 00242
Sprecherin:
Für meine Enkel
Euer Lachen – meine Quelle
Eure Hände – meine Zukunft.
Euer Leben – ein Geschenk.
Was wird sein, wenn Ihr so alt seid, wie ich jetzt?
Was wird sein im Jahr 2083?
In welchem Teil der Erde werden noch Menschen wohnen können?
Werdet Ihr Kindern das Leben geschenkt haben?
Mit welchen Gefühlen?
Ängsten, Hoffnungen?
Ich will tun, was ich kann.
Für Euch meine Enkel und all eure kleinen Freundinnen und Freunde.
Euer Lachen – meine Quelle
Unsere Hände – eure Zukunft.
Mein Leben – eine Chance.
Gott, steh uns bei.
Autorin:
Dieser Psalm ist auf IONA entstanden. In einem Workshop, den ich am vorletzten Tag dort besucht habe. Wir wurden angeleitet, selbst etwas zu schreiben. Lust hatte ich zu Anfang nicht, bin erstmal nach draußen gegangen. Das Meer angucken, den Wind spüren. Sogar die Sonne lugte hinter den Wolken hervor. Auf einmal war mir deutlich: Dass ich Teil bin eines großen Ganzen, Kraft ziehe aus allem, was lebt und definitiv Sorge tragen will für das Schöne, was mich umgibt.
Auf einmal hatte ich Worte, die ich gar nicht mehr lange suchen musste. Schon war das Papier gefüllt. Ein Gedicht, ein Psalm für meine Enkel und all die Kleinen, die in dieser Zeit laufen, sprechen, handeln lernen. Die leben wollen, genau wie ich. Meine Sorgen und meine Hoffnung.
Am nächsten Morgen nach dem Frühstück heißt es Abschied nehmen. Ein letztes Mal zum Gottesdienst in die alte Kirche. Dann ab zum Hafen.
Alle Freiwilligen und Mitarbeitenden der Community kommen mit uns. Goodbye und Auf Wiedersehen. Jemand steckt mir ein kleines Kärtchen zu. Der Segen darauf begleitet mich auf dem langen Weg zurück in die Heimat und nun auch in meinem Alltag:
Sprecherin:
On our Heads and our houses
The Blessing of God.In our coming and going
The Peace of God.
In our life and believing,
The Love of God.
In all our days
The Kindness of God.
AMEN
Autorin:
Über unseren Häuptern und Häusern.
Gottes Segen
Für unser Kommen und Gehen.
Gottes Frieden
In unserem Leben und Glauben.
Gottes Liebe
An all unseren Tagen.
Gottes Freundlichkeit
AMEN
Einen gesegneten Tag wünscht Ihnen Pfarrerin Antje Rösener aus Hattingen.
Musik: Downtown Toronto; Komposition: Shaw, Matheson, Duff & McKerron; Interpreten: Capercaillie; Album: The Blood is strong, Label: Vertical Records; LC: 00242
Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth