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Das Geistliche Wort | 06.08.2023 | 08:40 Uhr

Eine Portion Leben

Das darf doch nicht wahr sein! Mein schönes altes Milchkännchen ist kaputt! Vor ein paar Tagen fiel es mir aus der Hand und der Henkel brach ab. Das ist so schade, weil es ein Erinnerungsstück ist! Und ich bin wirklich traurig darüber. Vielleicht klingt das etwas übertrieben. Schließlich ist es ja nur ein Gebrauchsgegenstand. Vergleichsweise wertlos und leicht zu ersetzen. Aber allemal schöner als die Portionsmilch in Plastikdöschen. Und entscheidend für mich ist: mir bedeutet das kleine Gefäß sehr viel, weil das Milchkännchen: eine Art Symbol für mich ist. Das Milchkännchen mit dem blauen Netzmuster erinnert mich nämlich an meine Familie zuhause: Dann sehe ich quasi den Wohnzimmertisch vor meinen Augen: Wir essen den noch warmen Marmorkuchen und trinken Kaffee. Das war quasi ein Ritual am Sonntagnachmittag.

Zugegeben: Als Jugendliche fand ich das manchmal auch langweilig. Immer wieder sonntags der gleiche Ablauf. Aber es war ein Fixpunkt für die ganze Familie: Am Sonntag kamen wir alle zusammen! Inzwischen sind viele Jahrzehnte vergangen. Jetzt denke ich doch eher mit Wehmut daran zurück. Denn so eine Familientradition hat doch etwas! Und was hat sich nicht alles verändert? Heute habe ich ja meine eigene Familie. Die Kinder sind groß. Wir sehen uns seltener. Und wenn ich mich umschaue: Die Gesellschaft insgesamt ist vielfältiger und bunter geworden. Und nicht nur das. Sie ist auch viel mobiler geworden: Jeder Mensch hat heute irgendwie seinen eigenen Rhythmus durch die Arbeit oder den Freundeskreis. Das prägt doch den Tages- oder den Wochenablauf. Und der ist manchmal ganz schön hektisch. Da braucht es oft auch neue Ideen und neue Formen, um das Zusammenkommen zu gestalten – nicht nur in der Familie am Sonntag. Ja, und vielleicht auch so etwas wie eine feste Zeit inmitten des normalen Alltags.


Musik I: Gregorian, Fix you


Ja, das Kaffeetrinken am Sonntag war in meiner Familie früher ein echter Kontrast zum Alltag mit seiner Hektik und Arbeit. Mir ist erst später klar geworden, wie wichtig solche Kontraste sind, zwischen Arbeitsphasen und Ruhephasen. Denn beides hängt mehr zusammen, als man denkt. Nicht von ungefähr heißt es: In der Ruhe liegt die Kraft!

Arbeit und Ruhe: Das ist ein uralter Zusammenhang. Der wird z.B. anschaulich schon im ersten Schöpfungsbericht (Gen 1,1-2,3) beschrieben, wie Gott nach und nach die Welt erschafft mit Licht und Dunkelheit, mit der Erde und dem Meer, den Tieren und Pflanzen und schließlich dem Menschen. Als Gott all das geschaffen hat und die Welt in seinen Augen fertig ist, ruht er sich aus. Gott vollendet das Werk der Schöpfung, indem er ruht. Am siebten Tag schafft Gott also die Ruhe. Und mit dieser letzten Handlung setzt Gott der Schöpfung gewissermaßen die Krone auf. Zunächst überrascht mich das. Denn das erinnert mich an einen Spruch aus meiner Kindheit: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Also immer der Reihe nach. Die Schöpfungserzählung sagt aber etwas anderes: Erst im Ruhen ist das Werk vollendet! Die Ruhe gehört dazu und hat ihren eigenen, ganz besonderen Wert.

Nachdem Gott die ganze Welt erschaffen hat, ist es allerdings schnell mit der Ruhe vorbei: Erst werden die Menschen aus dem Paradiesesgarten geworfen (Gen 3), dann erschlägt Kain seinen Bruder Abel (Gen 4). Und zur Strafe für diesen Mord muss Kain sich vor seinen Verfolgern verbergen. Wörtlich heißt es: „Rastlos und ruhelos wirst du auf der Erde sein“ (Gen 4,12). Kain plagen ein psychischer Stress, die innere Unruhe und die Angst vor den Verfolgern. Und diese andauernde Rastlosigkeit und zunehmende Gewaltbereitschaft verstärken sich im weiteren Verlauf der Geschichte: Als Gott sieht, dass auf der Erde vor allem schlechte Umtriebigkeit wie Bosheit und Unfriede zunehmen, schickt er die große Flut über die Erde (Gen 7,10). Die Schleusen des Himmels öffnen sich und vierzig Tage und vierzig Nächte ergießt sich Regen auf die Erde. Einzige Rettung und quasi ein Reset in der Schöpfung geschieht durch die Arche Noah, das Schiff, das wenigen Menschen und Tieren das Überleben ermöglicht. Die Arche schwankt durch die Flut, bis sie dann auf dem Gebirge Ararat aufsetzt. Das Wasser der Flut geht zurück sodass Menschen, Tiere und Pflanzen langsam zur Ruhe kommen. Die verloren gegangene Ruhe des Paradieses kehrt in die Schöpfung zurück. Und Noah macht seinem Name Ehre: Er bedeutet so viel wie „Ruhebringer“!


Musik II: Simon & Garfunkel, Sound of Silence


Noah, der biblische Urvater, ist der Ruhebringer. Mit ihm kehrt nach der großen Flut die Ruhe in die Schöpfung zurück. Später wird in der Geschichte des Volkes Israel sogar die Ruhe verpflichtend: Gott verordnet den Menschen den Sabbat in einem der zehn Gebote. Dahinter steckt der Gedanke, dass der Sabbat jede Woche aufs Neue daran erinnern soll, dass der Inbegriff des Friedens die Ruhe ist. Kein Wunder, dass der Gott des Sabbats den Menschen immer wieder „zum Ruheplatz am Wasser“ führt, wie es in einem alten Gebet heißt, im 23. Psalm (V. 2).

Einen solchen wöchentlichen Ruhetag gibt es übrigens in fast allen Religionen. Im interreligiösen Kalender, den das Land NRW herausgibt, habe ich das nämlich gefunden: Nicht nur das Judentum, das Christentum und der Islam, sondern auch die meisten anderen Religionen haben einen wöchentlichen Feiertag: Das Judentum hat den Samstag, die Christen den Sonntag, der Islam den Freitag. Der Donnerstag ist bei den Aleviten Feiertag. Und bei den Jesiden ist es der Mittwoch.

In meiner Heimatstadt in Köln leben Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Religionen. Da finde ich es hilfreich zu wissen, wer an welchem Tag seinen religiösen Feiertag begeht. Dann kann ich darauf Rücksicht nehmen, wenn ich zum Beispiel Nachbarn treffe. Das prägt schließlich unser Miteinander.

Eigentlich ist die Ruhe doch ein Grundbedürfnis des Menschen. Und weil Religionen immer schon auf Grundbedürfnisse des Menschen reagieren, haben so viele Religionen eben jeweils einen Ruhetag pro Woche. Der soll dazu beitragen, den gleichförmigen Fluss des Alltags segensreich zu unterbrechen. Ich darf also die Hände in den Schoß legen. Ich muss nicht jeden Tag rund um die Uhr etwas produzieren oder bilanzieren. Ich muss nicht alle paar Minuten die Dienstmails auf dem Handy abrufen. Ich finde das sehr wichtig. Wie war das doch gleich im biblischen Schöpfungsbericht? Gott hat die Ruhe als die Krone der paradiesischen Schöpfung geschaffen. Das heißt also: Der Ruhetag ist so etwas ist wie ein Nachgeschmack auf das verlorene Paradies. Aber nicht nur das. Der wöchentliche Ruhetag ist in den meisten Religionen auch mit einem Gottesdienst verbunden: Darin klingt dann etwas an von dem Dank für das Geschenk der Schöpfung. Wenn in der Bibel Gott am 7. Tag die Hände in den Schoß legt, dann darf ich das auch tun: Weil es mir guttut. Und so ist der Ruhetag dann auch irgendwie nicht nur Nachgeschmack, sondern auch schon – ein Vorgeschmack auf das Paradies.


Musik III: Pharrell Williams, Happy


Das Grundbedürfnis nach Ruhe gehört zum Menschen dazu, denn niemand kann nur arbeiten. Und so ist die Hervorhebung eines wöchentlichen Ruhetages in den verschiedenen Religionen irgendwie selbstverständlich.

Bei den Christen ist der Sonntag der zentrale Ruhetag. Mehr noch: Er ist der zentrale Feiertag. Denn der Sonntag stellt das gesamte Geschehen in den Mittelpunkt, das mit der Person Jesu verbunden ist: Sein Reden und Handeln, seinen Tod und seine Auferweckung. Und ganz wichtig ist: Am Sonntag soll die Gegenwart Gottes gefeiert werden in Verbindung mit den Erfahrungen der Menschen, seiner Freuden und Leiden, Erfolge und Misserfolge. Im Zentrum des christlichen Sonntagsgottesdienstes steht daher der Durchgang von der Dunkelheit in das Licht, vom Tod in das Leben, von der Trauer zur Freude. Für mich ist daher der Sonntagsgottesdienst keine reine Pflichterfüllung, sondern wirklich ein Ort, wo ich das spüre und erfahre: Es gibt mehr als das Leben hier und jetzt.

Der christliche Sonntag ist in Deutschland ein geschützter Tag. Und religionsgeschichtlich hat das ja auch seinen guten Grund. Aber ich beobachte: So langsam scheint er seine Bedeutung und damit seine Prägekraft zu verlieren. Und das hat nicht nur etwas mit äußeren Faktoren einer immer säkularer werdenden Gesellschaft zu tun, sondern auch mit den Christen selbst. Da ist zum Beispiel die innere Zerreißprobe der katholischen Kirche, der ich angehöre – und auch nach wie vor gerne angehöre. Für mich als Christin und Theologin stellt sich nämlich die Frage, wie wir damit umgehen und welches Bild wir eigentlich in der Öffentlichkeit abgeben: Handeln wir Christen noch so, dass es unserem Namen entspricht? Vertreten wir noch die Ideale eines Jesus von Nazareth? Ist uns eine offene aber faire Streitkultur wichtig, die nicht zur Spaltung führt? Was können wir vielleicht von den anderen – auch den Nichtchristen – lernen?

Wenn ich sonntags zum Beispiel mit dem Rad durch die Feiermeilen Kölns fahre, dann sehe ich viele junge Leute oder Paare in Lokalen oder Straßencafés beim Brunch sitzen. Sie verabreden sich, sie kommen zusammen, essen miteinander und genießen den freien Ruhetag. Ich frage mich, inwieweit wir als Kirche auch etwas davon lernen können für unsere eigene Feierkultur am Sonntag? Wie können wir den Sonntag und gerade auch seinen Gottesdienst so gestalten, dass er als zeitgemäß, ansprechend und als sinnstiftend erfahren wird? Ich will damit auf keinen Fall die traditionellen gewachsenen Gottesdienste, die Eucharistiefeier, gegenüber neu entstehenden Formen ausspielen. Aber ich finde den Gedanken sympathisch, die kirchliche und die gesellschaftliche Praxis irgendwie zusammenzubringen. Hier ist Kreativität gefragt!


Musik IV: Ingrid Michaelson, Be okay


Ich komme noch einmal zurück auf mein zerbrochenes Milchkännchen. Irgendwie ist es doch auch eine Art Symbol für die Brüche im eigenen Leben und für die Katastrophen und das Scheitern insgesamt: Wenn ich morgens den WDR einschalte oder abends die Nachrichten im Fernsehen schaue, dann sind es so viele verheerende Nachrichten: ein schweres Zugunglück, Kinder, die im Krieg verstümmelt oder getötet werden. Und immer wieder der Krieg in der Ukraine. Dann noch die sterbende Bäume, hungernden Menschen und so weiter. Dann möchte ich mir eigentlich gleich Augen und Ohren zuhalten. Aber das ist auch keine Lösung. Was also tun? Es klingt vielleicht klischeehaft: aber ich finde etwas Trost in Texten aus der Bibel, weil sie alles kennt: Not, Tod, Verzweiflung – aber auch Zuversicht, Rettung und Hoffnung.

Beim Prophet Micha z.B., der sich in seiner Zeit ständig durch die Assyrer bedroht fühlt und den Menschen zunächst Unheil androht, heißt es schließlich in einer großen Vision: Die Nationen werden „ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Lanzen zu Winzermessern“ (Micha 4,3). Ein jeder sitzt „unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum und niemand schreckt ihn auf“ (Micha 4,4).

Der Prophet malt hier ein Bild von Ruhe und Frieden, das mich berührt und aufatmen lässt: Frieden ist, wenn Menschen für Veränderungen bereit sind – „Schwerter zu Pflugscharen“. Und Frieden heißt auch nicht, bloß mit Wasser und Brot auskommen zu müssen. Nein: Friede ist mehr, wenn Menschen unter ihren Bäumen sitzen und Früchte genießen können. Ich male das Bild weiter aus: Niemand stört sie und schreckt sie auf. Sie schauen auf die Bäume und Blumen. Und weil es so friedlich ist, können sie auch ihre eigene innere Stimme wahrnehmen und darauf hören. So gesehen ist diese Oase, sind Ruhe und Frieden auch ein Geschenk!


Musik V: Gregorian, Fix you


Ruhe und Frieden. Das klingt vielleicht wie „Ruhe in Frieden“ auf einer Todesanzeige oder einem Grabstein – dann oft als lateinische Abkürzung: R.i.P., „requiescat in pace“.

Dahinter steht eigentlich der Wunsch, dass der Mensch, von dem hier gesprochen wird, zur Ruhe kommt, zur vollkommenen Ruhe in Gott: Und diese Ruhe ist unbegrenzt und endlos! Das ist etwas ganz Anderes als Grabesruhe. Für mich ist das Rückkehr in das Paradies, also Leben und zwar das volle, das pralle Leben. Das Bild des Paradieses ist für mich wie ein umfriedeter Garten mit Bäumen, reifen Beeren, süßen Früchten und einer bunten Blumenwiese: ein verlockendes Ziel für all diejenigen, die auf ein Leben nach dem Tod hoffen. Es ist fast wie das Bild beim Propheten Micha: Sitzen unter Weinstöcken und Feigenbäumen, Vollendung erfahren in Ruhe und Frieden.

Ob ich davon hier und jetzt schon etwas erfahren kann – gerade angesichts der Brüche und dem Unheilvollen im Leben?

Etwas erahne ich von Ruhe und Frieden in dem schon erwähnten Psalm 23 mit dem ich schließen möchte, weil er mir zum Lebensbegleiter geworden ist – gerade in Zeiten der Unruhe. Und er geht so:

„Der Herr ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen. Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Meine Lebenskraft bringt er zurück. Er führt mich auf Pfaden der Gerechtigkeit, getreu seinem Namen. Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab, sie trösten mich. Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde. Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, übervoll ist mein Becher. Ja, Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang und heimkehren werde ich ins Haus des Herrn für lange Zeiten.“

Zuversichtlich grüßt Sie aus Köln Eva-Maria Will


Musik VI: Bobby McFerrin, Don’t worry, be happy

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