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Kirche in WDR 5 | 12.08.2023 | 06:55 Uhr
Lebensbilanz
Guten Morgen.
Erinnern Sie sich an den legendären Hauptmann von Köpenick? Friedrich Wilhelm Voigt, ein armer Schuster aus Ostpreußen, sitzt wegen kleinerer Delikte im Gefängnis. Nun versucht er wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Doch er bekommt ein Aufenthaltsverbot für den Großraum Berlin. Um nun einen Pass für sich zu erhalten, verkleidet er sich als Offizier. So befiehlt er einigen Wachsoldaten, ihm bei der „Ausführung eines kaiserlichen Geheimbefehls“ zu helfen. Am 16. Oktober 1906 beschlagnahmt er in Köpenick die Stadtkasse und verhaftet das Personal. Zu seiner Enttäuschung findet er keine leeren Pässe. Schließlich fliegt alles auf. Der Schuster landet wieder im Gefängnis. Die Geschichte gelangt in die Presse. Die Öffentlichkeit kommt aus dem Lachen nicht mehr heraus. Kritiker überschlagen sich mit ihrer Kritik an den deutschen Zuständen. Das kommt dem Schuster sehr entgegen. Denn Kaiser Wilhelm II. lässt ihn nicht lange im Gefängnis „sitzen“. Und so wird er 1908 begnadigt.
In
Carl Zuckmayers Drama „Der Hauptmann von Köpenick“, das 1931 uraufgeführt wird,
unterhält sich der Schuster mit seinem Schwager über das Leben im Allgemeinen
und
sagt: „..dann stehste vor Jott dem Vater, der alles jewerkt hat, vor dem stehste
dann, un der fragt dir ins Jesichte: Schuster Wilhelm Voigt, wat haste jemacht
mit dein Leben, un dann muss ick sagen: Fußmatte….Fußmatte, muss ick sagen….und
Jott der Vater sagt zu mir: Jeh weg, sagt er….deswegen hab ick dir det Leben
nich jeschenkt!“ (1)
Offensichtlich erkennt Wilhelm Voigt in dieser kurzgefassten Bilanz seines bisherigen Lebens, dass er nicht viel vorweisen kann. Immerhin empfindet er sein Leben als ein Geschenk Gottes. Und er ahnt, dass es ein reichhaltigeres, ein ausgefüllteres Leben gibt, als er es bisher für sich gelebt hat.
So stelle auch ich mir die Frage, was ich mit meinem Leben bisher gemacht habe? Habe ich die mir gebotenen Chancen in Familie und Beruf, in Gesellschaft und in kirchlicher Gemeinschaft genutzt? Oder habe auch ich mehr oder weniger erfolgreich ähnlich wie Wilhelm Voigt eine innere Uniform angezogen, um meine eigenen Ziele und Interessen durchzusetzen? Woran orientiere ich mich als Christ? Wie richte ich mein Leben nach Gottes Maßstäben aus? In der Bibel lese ich, was Jesus dazu sagt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, mit ganzer Hingabe und mit deinem ganzen Verstand. Und ebenso wichtig ist ein Zweites: `Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst`.“ (Matthäus 22, 37–39, Hoffnung für alle)
Dieses doppelte Liebesgebot von Jesus Christus ist für mich eine tägliche Herausforderung. Ich bin dankbar, wenn es mir gelingt, danach zu leben. Und ich bin demütig an den Stellen, wo ich kläglich versage und andere täusche oder enttäusche. Und ich denke, dass Gott auch mich fragt, so wie Wilhelm Voigt: „Wat haste jemacht mit dein Leben?“ Vielleicht nehmen Sie diese Frage ebenfalls mit hinein in dieses Wochenende. Und ich wünsche Ihnen, dass Sie eine gute Antwort darauf geben können.
Prädikant Werner Brück aus Remscheid.
Quelle:
(1) Carl Zuckmayer, Der Hauptmann von Köpenick – Ein deutsches Märchen in drei Akten, Fischer Verlag, Frankfurt am Main, S. 185.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze