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Das Geistliche Wort | 20.08.2023 | 08:40 Uhr

Sommerernte

Es ist wieder Erntezeit. Das Getreide auf den Feldern ist schon längst eingefahren, das Stroh in Ballen verpresst und eingelagert. Ich mag es, wenn es im Spätsommer nach Erntezeit riecht. Wenn sich der Sommer nun dem Ende neigt, stellt sich bei mir immer auch ein wenig Wehmut ein. Aber: Es hilft ja nichts! Dann erinnere ich mich an ein Lied, dass unsere Kinder immer wieder hören. „Januar, Februar, März, April. Die Jahresuhr steht niemals still.“ Eine absolute Ohrwurmmelodie. Weiter heißt es: „Mai, Juni, Juli, August. Wecken in allen die Lebenslust!“. Ja! So war das auch in diesem Jahr. Zumindest bei uns Zuhause. Dieser Sommer war voll von wunderbaren Momenten. Er war voll von gemeinsamen Erlebnissen. All die Ausflüge und Fahrradtouren, das Minigolfduell, der Urlaub an der Nordsee, das wunderbare friesisch-herbe Pilsbier (das, was irgendwie dem Rheinländer nur im Urlaub am Meer schmeckt). Die Abende mit Freunden auf der Terrasse bis tief in die Nacht. Die wiederentdeckte Leidenschaft für das Mensch-ärgere-Dich-nicht mit den Kindern. So alt, so einfach… so wunderbar. Dazu noch Mikado und Mau-Mau und nicht zu vergessen das Puzzeln und das traditionelle Heft mit den 1000 Kreuzworträtseln. Dinge, die mir im Alltagtrott leider nicht einfallen. Warum eigentlich nicht? Tja… und dann ist es auch wieder soweit. Am Ende eines Sommers blickst du zurück und bei mir jedenfalls fängt dann das Grübeln an.


Musik 1: Reinhard Mey; So viele Sommer. Album: Mister Lee.


„So viele Sommer mit dir verbracht,

Mit dir geliebt und geweint und gelacht.

Lass uns den Sommertag heut' glücklich leben,

Wie viele Sommer mag es noch geben?

Alle guten Dinge müssen enden,

Lass uns verschenken, lass uns verschwenden.

Die Hand, die verschenkt, leert und füllt sich zugleich,

Nur was wir verschenken macht uns wirklich reich.

Lass uns Glück verstreuen mit vollen Händen.

Alle guten Dinge müssen enden.“


Was Reinhard Mey da in seinem Lied besingt, das trifft es so ziemlich genau. Am Ende des Sommers 2023 denke ich irgendwie nicht nur an das Ende der diesjährigen Saison. Es geht um viel mehr! Meine Gedanken schauen nicht nur auf volle Erntekörbe. Hier geht es um viel mehr als die Maiskolben und Korngarben, die Bündel von voll-orangenen Möhren und die vielfältigen Kürbisse. Die fleischig-roten Tomaten… und, und, und… Es geht irgendwie… tja… es geht um mich! Und genau das wird mir bewusst an Tagen wie diesen, im satten August-Finale. Mein Korb ist voll. Er ist randvoll mit den Erinnerungen an diesen Sommer. Die Bilder sind voll: Da ist der vollbepackte Familienwagen bei seiner Reise an die Küste, wo der Fähranleger auf uns wartete. Da ist das Bild vom Wind in den Haaren der Kinder, wie sie vor mit auf ihren Rädern strampeln… dazu diese herrliche Luft. Da ist der knirschende Strandsand, der nach 14 Tagen wirklich überall war. Und wenn ich die Augen schließe, schmecke ich den wunderbaren Cocktail am letzten Abend ebenso auf den Lippen, wie das heißersehnte Zeugniseis am letzten Schultag.
Und dann geht die Zeitmaschine im Kopf an… sie transportiert mich in wenigen Augenblicken in die Sommer meines Lebens. Da sind die unbeschwerten Sommer der Kindheit, die Urlaube mit den Eltern. Da tauchen sie auf: die nicht-enden-wollenden Urlaubstage bei den Großeltern; wo schon das Planschbecken stand, als ich ankam und wo der Obstsalat bereits im Kühlschrank stand. Das
alles ist auf einmal irgendwie da... noch. Oder wieder? Oder war es nie weg?
Der Kopf ist plötzlich randvoll. Ich stehe, rein rechnerisch, in der Mitte meines Lebens. Über 40 Sommerernten habe ich eingefahren und die stammen wirklich nicht nur aus Schön-Wetter-Zeiten. Es ist also wieder August und ich möchte wieder (wie es Reinhard Mey singt) die letzten Sommertage leben. Ich denke dabei zurück an all das Geliebte, Geweinte und Gelachte. Das alles ist wohl jetzt meine Ernte. Und mir wird auch deutlich, dass auch diese Zeile stimmt: „Alle guten Dinge müssen enden!“

MUSIK 2: „So viele Sommer“ - So viele Sommer. Album: Mister Lee.


„Die Tränen, der Kummer, die Niederlagen,

Schlaflose Nächte, Fragen und Klagen.

Die Zweifel, die Ängste, die Sorgen und Müh'n,

Blütenträume, die nicht verblüh'n.

Gemeinsam gestanden, gemeinsam getragen,

Die Tränen, der Kummer, die Niederlagen.

So viele Sommer mit dir verbracht,

Mit dir geliebt und geweint und gelacht.

Lass uns den Sommertag heut' glücklich leben,

Wie viele Sommer mag es noch geben?“


Ja… so ist das wohl. Meine, ich nenne sie mal Sommer-Melancholie, gibt es eben auch, weil der volle Sommergeruch mir auch etwas anderes deutlich macht: Es ist nicht alles sommerleicht im Leben. Das war es nicht, das ist es nicht und… das wird es nicht werden. Der Liedermacher singt es so leicht, was in der Realität doch unendlich schwer ist. In meinem Korb sind sie wirklich zu finden: schlaflose Nächte, Fragen Klagen, Zweifel, Ängste, Sorgen und viel Mühe und Ermüdung.

In diesem Sommer wurde mir das besonders deutlich. Die ganze, allgemeine Großwetterlage hat auch der schönste Sommertag nicht verdrängen können. Ein Krieg tobt quasi vor der Haustüre und will kein Ende nehmen. Nicht zuletzt hat er mir deutlich gemacht, wie selbstverständlich bislang für mich der Frieden war.- Obwohl es ihn auf der Welt eigentlich auch vor dem russischen Überfall nicht gab. Ich habe das wohl oft verdrängt. Da sind die Menschen, die sich als ihr letzter Hilfeschrei auf den Asphalt kleben. Ob das richtig ist, oder legitim? Ich ringe mit mir. Aber: der Anlass stimmt und ihr Gefühl stimmt auch. Die Frage ist also auch im Erntekorb: Ist die Generation meiner Kinder die „letzte“? Es gibt wenig Anlass, das klein zu reden. In dem Korb finde ich auch so manche Traurigkeiten. In den letzten Monaten ist der Tod doch näher an mich herangerückt, als mir das lieb wäre. Mein Schwiegervater ist gestorben. So manche Lücke tut weh und das wird erst jetzt so richtig deutlich. „Tränen, Kummer und Niederlagen“ sind wohl tatsächlich da. Jede Träne, jeder Kummer stellt aber viel mehr die Frage nach dem „Großen Ganzen“ und nach dem was für mich persönlich Glück bedeutet… und: wie es sich buchstabiert. Am Ende bleibt, je älter ich werde, für mich auch diese Frage: „Wie viele Sommer mag es noch geben“? Ich wünsche mir noch viele davon… für mich, meine Familie und die Kinder und für viele Menschen mit denen ich dieses Leben erleben darf. Ich merke aber: das alles liegt nicht in meiner Hand.

Ich merke wieder: ein solcher Sommer geht für mich viel tiefer als die Sommerromanze aus der Eis-Werbung, oder der kurzweilige Biergartenbesuch. Wenn ich an den Sommer denke, dann geht es an das „Eingemachte“. Und überhaupt: Das war ja früher immer auch eine Sommerbeschäftigung. Ich erinnere mich an unzählbare Einmachgläser im Keller der Oma… darin: Neben den Stachelbeeren, Erdbeeren und Mirabellen vor allem: Der konservierte Geschmack des Sommers. Das schmeckte für mich so, wie Vivaldi ihn malte: den Sommer!


Musik 3: Vivaldi; Die vier Jahreszeiten; Sommer


Wie voll, wie beruhigend, wie satt klingt diese Musik. Sie gehört immer wieder auch zu meinem persönlichen Sommer-Soundtrack. Denke ich an die Vorratskeller meiner Oma, dann bin ich schnell wieder bei meinem Sommer. Vielleicht muss wieder mehr eingemacht werden. Wahrscheinlich gilt das auch im übertragenen Sinne. Am Ende dieser Sommersaison 2023, in diesen Augusttagen können wir all das einmachen, konservieren, was uns in die Zukunft begleiten kann. Ich bin mir sicher: es sind nicht nur Sonnenmomente. So manche Wolke wird dabei sein, sicher auch Regen und vielleicht sogar Stürme und Gewitter. Das alles aber gehört zur Ernte dieses Sommers. All das ist da: das unsichtbare „Eingemachte“.

Nochmal zum Keller mit dem „Eingemachten“ meiner Oma. Obwohl meine Großeltern lange tot sind und ihr Haus genau so lange verkauft, weiß ich noch jedes Detail genau. Ich weiß, dass man die offene und knackende Holztreppe hinter ging, dann links abbog. Dann öffnete man eine weiter Türe und man landete in der Waschküche. Vor der Waschmaschine musste jetzt nur noch eine Türe geöffnet werden. Dann öffnete sich das Paradies: Der nasskalte Keller mit den hölzernen Regalen. Die Regalböden mit Zeitungen ausgelegt. Und darauf, fein säuberlich nach Sorten getrennt: Die Birne im eigenen Saft; die Mirabellen, die Gurken in ihrem unverwechselbaren Gewürzessigsud… „Was für ein Vorrat!“ - So habe ich immer wieder gedacht.

Und jetzt zurück zu meiner Sommerernte, zu meinem Eingemachten. Wie sähe wohl bei mir die Lagerhaltung am Ende dieses Sommers aus, wenn sie die Türe öffnet?

„Eingemacht“, so merke ich gerade, habe ich in den letzten Jahren eine Menge.

Klar: da sind die Erfahrungen, die mein Leben ausmachen. Da sind gute und schlechte Erinnerungen. Aber das Sortiment ist breiter und tiefer.

Ich merke: All das ist mehr als eine Ansammlung, die irgendwo vor sich hin verstaubt. Das alles sind Ressourcen, die sich da angesammelt haben. Wie gut, dass ich das alles nicht weggeworfen und irgendwo abgeheftet habe. Wie gut, dass das alles eingemacht ist.

All die eingelagerten Lehren, die ich ziehen durfte aus den vielen Erfahrungen und aus all dem Erlebten. Vielleicht ist das sogar anfänglich jene „Lebensweisheit“, über die ich immer die Stirn runzeln musste, wenn ich früher andere davon reden hörte.

Da sind die eigenen Fähigkeiten. Sie konnten und durften sich entwickeln. In der Ausbildung, der Studienzeit, im Beruf und nicht zuletzt in der Familie.

Und dann die vielen „Netzwerke“ von Menschen. Das alles durfte entstehen und sich entwickeln. Menschen, die mir wichtig wurden und die fest dazu gehören, die mir Halt und Sicherheit geben.

Die persönlichen Glückseeligkeiten finde ich auch in einem Glas. Den Sonnenuntergang auf Spiekeroog, der Geruch der frisch umgegrabenen Erde im Gemüsegarten, das schöne Rom mit seinen kleinen Straßen und den Plätzen… und der wunderbare Cuvée, den ich irgendwann mal kennenlernte. Was für ein Genuss!


Ja! Hinter der Türe zu meinem Lager mit dem unsichtbaren Eingemachten ist satt und genug eingelagert, um damit auch stürmische Herbstzeiten und karge Wintertage nicht nur zu „über-leben“, sondern zu genießen. Und das Schöne: In den Regalen ist noch Platz für mehr…


Musik 4: Klaus Hoffmann; Es fängt alles wieder an; Sehnsucht; 2014 stille-music


https://www.youtube.com/watch?v=Ps2U-chya7U
ab 00:36


„Es fängt alles wieder an“ – Vielleicht ist das der spätsommerliche Trost, aus der Feder des Liedermachers Klaus Hoffmann. Genau in dem Moment, in dem die Wehmut in mir aufkommt. Dass es „wieder anfängt“ ist eine spätsommerliche Zusage, die aus dem „Eigemachten“ kommen kann. Und Spätsommerlich leben bedeutet dann vielleicht auch, für das Eingemachte zu sorgen, die Vorräte im Blick zu behalten und zu schauen, dass nichts verdirbt. Ich möchte das in diesem Jahr so versuchen. Und ich möchte mit all meinen Lieben darauf hoffen, dass uns noch viele, weitere Sommer geschenkt werden. Ich möchte darauf setzen, dass alles wieder neu anfängt. Dann, wenn (Sie erinnern sich an das Kinderlied) die Jahresuhr weitergelaufen ist.


MUSIK 5: So viele Sommer. Album: Mister Lee.


„Die Liebe überstrahlt alles im Leben,

Alle Gestirne verblassen daneben.

Die einzige Botschaft, der einzige Sinn,

Die einzige Zuflucht liegt doch darin,

Einander Trost und Wärme zu geben.

Die Liebe überstrahlt alles im Leben.

So viele Sommer mit dir verbracht,

Mit dir geliebt und geweint und gelacht.

Lass uns den Sommertag heut' glücklich leben,

Wie viele Sommer mag es noch geben?

Bewahr' das Licht aus diesem Sommertag,

Für den Wintertag, der getrost kommen mag.“


Am Ende dann noch einmal Reinhard Mey. Er trifft für mich (wie so oft) nicht nur den richtigen Ton, sondern findet so passende Worte.

Was er singt, ist das schönste Einmachlied das ich kenne. Und mit diesen Zeilen gehe ich mutig und froh in den Spätsommer.

Ich wünsche mir, dass es gelingt, was er in der letzten Zeile singt:

„Bewahr das Licht aus diesem Sommertag, für dem Wintertag der getrost kommen mag!“


Dieses „Bewahren“, das wird hier und da harte Arbeit werden; da bin ich mir sicher. Für mich, für meine Lieben, für unsere Gesellschaft und, und, und… Wenn es dann so ist (vielleicht in einem stürmischen Herbst, oder einem eisigen Winter) dann möchte ich „ans Eingemachte gehen“. Ich weiß spätestens seit jetzt: Es ist genug da. Die Regale sind voll.
Vielleicht reicht auch -wie damals bei der Oma- nur ein wenig davon aus, um einen Neuanfang zu packen.


Musik 6: Jördis Tielsch: Fields of Gold.: https://www.youtube.com/watch?v=GSCnyN45pnY


Darin gesprochen: Damals, wenn es draußen richtig kalt und usselig war, da klackte der Gummiverschluss und es duftete nach Erdbeeren, Kirschen, Marillen und anderen Köstlichkeiten… mitten im Winter.

Fahren Sie gut Ihre Ernte ein! Machen Sie sich ans Eingemachte! Aus Kevelaer grüßt Sie Pastoralreferent Bastian Rütten.



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