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Kirche in WDR 5 | 01.09.2023 | 06:55 Uhr
Mein Vermächtnis
Es hört sich vielleicht an, wie die Vorbereitung auf das eigene Testament, aber es sind doch sehr zentrale Fragen, vor allem, wenn man sie nicht materiell versteht, sondern existentiell: „Was willst du weitergeben? Was wirst du hinterlassen, wenn du nicht mehr da bist? Was bleibt von dir für die Nachwelt? Was ist dein Vermächtnis, dein Erbe? Was von dir ist wertvoll für die Anderen? Und wofür kannst du dir selbst ein Denkmal setzen?“
Diese Fragen gehören zu einem Impuls, den ich als Polizeiseelsorger einer Gruppe von Beamtinnen und Beamten bei einer spirituellen Auszeit gestellt habe. So eine Auszeit organisiere ich zusammen mit meiner Kollegin.
Die fragt mich dann aber plötzlich: „Und du? Was willst du denn weitergeben?“ Da war ich ehrlich gesagt nicht drauf vorbereitet, obwohl ich die Impulsfragen ja selbst erarbeitet hatte. Also dauerte es etwas, bis ich antworten konnte. Schließlich meinte ich: „Ich glaube, meine Liebe zu den Mitmenschen möchte ich gerne weitergeben. So grundsätzlich. Natürlich finde ich nicht alle Menschen toll, manche kann ich auch nicht ausstehen, aber so allgemein mag ich Menschen. Besonders liegen mir die Kolleginnen und Kollegen am Herzen. Und durch meine Tätigkeit als ihr Seelsorger kenne ich viele ihrer Lebensgeschichten, kenne ihre Eigenschaften, die liebenswerten und auch andere. Jeder trägt eigene Sorgen und Freuden mit sich herum. Da nehme ich gerne Anteil dran. Und diese Zuwendung, die möchte ich gerne weitergeben.“
Es klingt vielleicht etwas sehr banal, aber ich merke eben auch: Wenn es persönlich wird, fällt es deutlich schwerer, die richtigen Worte zu finden.
Das ging den Kolleginnen und Kollegen, denen ich diese Fragen gestellt hatte, auch so. Daher war es leichter, eine Antwort in anderer, in kreativer Form zu gestalten. Die Kolleginnen und Kollegen sollten also in Kleingruppen jeweils ein Denkmal errichten. Das sollte zeigen, was ihnen gemeinsam wichtig war, an andere weiterzugeben. Quasi ein gemeinschaftliches Vermächtnis oder Testament. Und das möglichst anschaulich. Zur Verfügung stand einfaches Material, das man sich aus einem nahegelegenen Wald besorgen konnte, und was man sonst so in den Taschen hat. Damit machten die Kleingruppen sich ans Werk, nachdem sie sich ausgetauscht, geplant und die Materialien aus dem Wald zusammengetragen hatten.
Bei der anschließenden Besichtigung der Denkmale erläuterten die jeweiligen Kolleginnen und Kollegen ihre Werke. Eine Gruppe hatte mit Holzresten, Laub und Pflanzen dargestellt, dass ihr die Vielfalt der Lebensformen wichtig ist, die Toleranz und auch die Sorge um die Schöpfung, die sie weitergeben wollten. Eine andere Gruppe hatte ihr Vermächtnis literarisch zu Papier gebracht. Und wieder eine andere hatte ein lebendiges Denkmal konstruiert, indem die einzelnen Gruppenmitglieder sich selbst als Teile eines Kunstwerks zusammenschlossen. Das zeigte die Bedeutung von Gemeinschaft, Zusammenhalt und Respekt, Werte, die es weiterzugeben galt.
Mich hat überrascht, dass es bei keinem Denkmal um Leistungen der Kolleginnen und Kollegen ging, ganz nach dem Motto: Sie her, dies und jenes haben wir erreicht, gekauft, gebaut… und überlassen es euch. Dargestellt wurden dagegen immer Werte und Haltungen. Und ich vermute: Die Denkmale, die von den Kleingruppen entworfen wurden, sind überhaupt nicht polizeispezifisch. Ich glaube, dass die meisten Menschen Ähnliches in ihr geistiges Testament schreiben würden. Es sind Werte, die wir als Menschheitsfamilie brauchen: Gerechtigkeit, Toleranz, Frieden, Umweltbewusstsein und anderes mehr.
Diese Übung, sich ein Denkmal zu überlegen für das, was man gerne weitergeben möchte, das ist das eine. Das andere ist: Wie lebt jeder einzelne Mensch diese Werte so, dass sie auch in der nächsten Generation wahrgenommen werden?
Zunächst einmal gilt doch: Jeder Mensch hinterlässt einen ganz eigenen Abdruck in dieser Welt. So wie ich „Hallo“ oder „Guten Tag“ sage, mit meinem Tonfall und meinem Blick, tut das niemand sonst. So wie ich denke und handle, mit meinen Eigenschaften und Talenten, tut das niemand sonst. So wie ich liebe – und manchmal auch hasse – tut das niemand sonst. Ich glaube fest, dass mein Leben eine Wirkung hat: natürlich auf die, die mir nahestehen, aber auch auf die Welt insgesamt. Daher könnte man dann umgekehrt fragen: Was fehlt, wenn ich nicht mehr da bin? Und: Was sollte als Denkmal von mir bleiben? Schwierige Fragen – aber sie begleiten mich. Und sie vertiefen mein Leben.
Nachdenklich grüßt Sie Ihr Pastoralreferent Martin Dautzenberg