Beiträge auf: wdr5
Kirche in WDR 5 | 16.10.2023 | 06:55 Uhr
Lebenswille
Guten Morgen.
Sie sind Geschwister. 13, 9, 4 und ein Jahr alt. Abgestürzt mit einem Flugzeug. In diesem Sommer. Mitten im Regenwald. In Kolumbien. Ihre Mutter, der Pilot und ein weiterer Mann sind tot. Die Kinder überleben als einzige. Kinder allein ausgesetzt in einem Wald. Das erinnert mich an das Märchen von Hänsel und Gretel. Die beiden hätten umkommen können im Wald.
Die vier Kinder des Flugzeugabsturzes hätten auch umkommen können. Doch sie hatten Glück. Und sie hatten einander. Zu viert haben sie im Regenwald überlebt. 40 Tage lang. Sie gehören zu einer Gruppe der indigenen Völker. Wie man im Regenwald überleben kann, wird hier in den Generationen weitergegeben. Und so hat vor allem die Älteste - die 13-Jährige - gelernt, was man im Regenwald essen darf und was nicht. Und sie hat schon vor dem Flugzeugabsturz oft ihre Geschwister versorgt, wenn die Mutter arbeiten war.
Vier Kinder allein im Regenwald. Umgeben von gefährlichen Tieren. Am Ende zerstochen von zahlreichen Insekten. Ohne Wegweiser auf der Suche nach einem Weg nach Hause. Als man sie nach 40 Tagen gefunden hat, sollen ihre ersten Worte gewesen sein: „Ich habe Hunger“ und „Meine Mama ist tot“. Und einer der Retter sagt: „Ich sah ihre Gesichter und Augen voller Hoffnung und ehrlich gesagt, ich sah diese Kinder voller Leben. Ihre Augen leuchteten, waren glücklich und fröhlich“. Was werden die Kinder wohl einmal erzählen? Wird sie im Nachhinein der Schrecken einholen und ihr großer Mut sie verlassen? Oder wird es sie stark machen, dass sie das alles überlebt haben – und wie sie es überlebt haben?
In der Bibel lese ich öfter von 40 Tagen oder 40 Jahren, in denen Menschen große Strapazen auf sich nehmen müssen, um zu überleben: Mit einer Arche schaukeln sie in Stürmen und bei extremem Starkregen auf den Wellen oder sie ziehen durch die Wüste – ohne Wasser und Nahrung, umgeben von wilden Tieren. Hier ist es Gott, der rettet. Hat er wohl auch die Hand über die Vier im Regenwald gehalten? Hat er den Pumas und Giftschlangen Einhalt geboten? Hat er den Kindern wilde Mango- und Maracujafrüchte geschenkt? Sogar ein Lebensmittelpaket, das die Hubschrauber abgeworfen haben, sollen die Kinder gefunden haben. Ein Spürhund hat die Kinder mit aufgespürt, ist wie in manchen Märchen zum tierischen Helfer geworden, zum Retter.
Die Bibel allerdings ist kein Märchenbuch und das Leben ist kein großes Märchen. Wunder aber, die können wir darin entdecken. Geschichten davon, wie Menschen in großer Not und Gefahr bewahrt werden. Wie sie in sich Kräfte finden, die sie weit über das normale Maß an Anstrengung hinaustragen.
Was hat die Kinder
im Regenwald wohl getragen? Die Hoffnung, die Großeltern wieder zu sehen?
Oder ein tiefes Wissen, dass ihre Zeit noch
nicht gekommen ist? Oder einfach der pure Lebenswille? Über dieses große Rettungswunder
kann man nicht genug staunen. Und über die Stärke dieser Kinder auch nicht. Ihr
Lebenswille springt mir aus den Nachrichten entgegen und auf mich über.
Und ich spüre, wie ich mich selbst aufrichte und sage: „Gott, danke für mein Leben. Danke, vielleicht hast du noch was mit mir vor. Ich werde nicht so schnell aufgeben. Versprochen. Hilf du mir dann und wann dabei. Amen.“
Bleiben Sie bewahrt – Ihre Petra Schulze, Rundfunkpfarrerin in Düsseldorf.
Quellen:
(1) https://www.rtl.de/cms/vermisste-kinder-im-amazonas-gefunden-helfer-beschreibt-moment-der-wunderrettung-5047085.html (letzter Abruf 05.10.23)
