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Kirche in WDR 5 | 27.10.2023 | 06:55 Uhr

Vom Vergessen

Guten Morgen!

Kennen sie Nincshof (Nintschhof)? Sicher nicht, wenn Sie nicht den gleichnamigen Roman gelesen haben. „Nincshof“ ist der Debüt-Roman der österreichischen Autorin Johanna Sebauer. Eine lesenswerte wie herzerwärmende Dorfsatire.

Und sie fußt auf einem skurillen wie interessanten Gedankenexperiment.

„Nincs“ kommt aus dem Ungarischen und bedeutet so viel wie „es gibt kein“ „es existiert nicht“. Was soll man also von einem Dorf halten, das Nincshof heißt? Die fiktive Siedlung, so berichtet es eine Legende, habe jahrhundertelang irgendwo im Schilf an der ungarischen Grenze gelegen, den Blicken der restlichen Welt entzogen. Vollkommen unabhängig – von der Welt vergessen. Das sei ein glücklicher Zustand gewesen, sind der aktuelle Bürgermeister und zwei Kumpanen überzeugt – und wollen ihn wiederherstellen. Sie nennen sich fortan „Oblivisten“ (das kommt aus dem Lateinischen „oblivere“ und bedeutet schlicht „vergessen“) und sorgen mit allen Mitteln dafür, dass Nincshof vergessen wird: „Weil Nincshof sich nicht herumkommandieren lassen soll von der Welt. Da passieren doch nur noch Dinge, von denen man kein Teil mehr sein will, oder? Die ganze Weltpolitik, die ganze Weltwirtschaft, unüberschaubar kompliziert. Nincshof soll frei sein von all dem.“ Der Bürgermeister und seine Mitstreiter gehen es wacker an. Löschen Informationen im Internet, lassen Bücher aus Bibliotheken verschwinden, entfernen Orts- und Straßenschilder, vergraulen Touristen mit Jauche-Deponien. Dass das natürlich an seine Grenzen stößt und auf Dauer nicht glatt läuft, dürfte schnell jedem klar werden. Es kommt zu Verwicklungen und zu einem turbulenten Sommer in Nincshof.

Und doch – mich hat dieses Gedanken-Experiment fasziniert – bisweilen sogar angesprochen. Vielleicht denken sie gerade auch: Das wäre schön – einfach vergessen werden, frei sein von allen Bindungen, frei sein von aller historischen Verantwortung. Einfach nichts mehr von alledem – im Film würde man sagen: Alles auf Anfang. Keine Bugwelle von Traditionen mehr vor sich herschieben, keine gegenseitigen Verantwortlichkeiten mehr…

Die 35-jährige Autorin sagt dazu:

Sprecherin:

„Ich werde oft gefragt, warum ich über das Vergessen geschrieben habe, ausgerechnet jetzt, in einer Zeit, in der doch so viele Menschen auf allen möglichen Plattformen maximale Aufmerksamkeit gewinnen wollen und ich denke, dass der Gedanke des ‚Vergessenwerdenwollens‘ eigentlich gar nicht so sehr aus der Zeit gefallen ist. Nämlich gerade weil alle überall gesehen werden wollen und dadurch ein unglaublicher Aufmerksamkeitswettkampf entstanden ist. Wir in der westlichen Welt leben manchmal in einer solchen Uferlosigkeit, dass sich doch viele Menschen schon nach einer neuen Langsamkeit sehnen. Der ‚Oblivismus‘, so wie es ihn in meinem Roman gibt, ist vielleicht eine weitere Reaktion auf dieses Zuviel, das uns aktuell umgibt.“[1]

Und doch: Was wäre denn wenn – wir vergessen würden? Wäre das nicht auch Ausdruck einer tiefen Verlassenheit. Wäre das nicht etwas, vor dem wir uns in Wirklichkeit fürchten? „Gottverlassenheit“ – die schlimmste Vorstellung von absoluter Einsamkeit. Mir schießt Jesus am Kreuz durch den Kopf: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen…?“ Und gleichzeitig kommt mir die Erinnerung an das Wort aus dem Buch Jesaja im Alten Testament:

Sprecherin:

„Doch Zion sagt: Der Herr hat mich verlassen, Gott hat mich vergessen. Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, ohne Erbarmen sein gegenüber ihrem leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergisst: Ich vergesse dich nicht.[2]

Mir hilft dieser Gedanke, mich wieder aus den faszinierenden Fängen der Oblivisten von Nincshof und ihrer schrägen Verheißungen zu lösen. Egal was ist: Gott vergisst mich nicht! Ein gutes Gefühl zum Start in diesen Freitag.

Ihr Pfarrer Ulrich Clancett aus Jüchen.


[1] nach Audio-Datei der Autorin: www.nincshof.at/about-6

[2] Jes 49, 14-15.

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