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Das Geistliche Wort | 21.01.2024 | 08:40 Uhr

„Der Mond ist aufgegangen“

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

ich weiß gar nicht, wann ich das erste Mal mit diesem Lied in Berührung gekommen bin. Wahrscheinlich schon in frühesten Kindertagen wurde es mir am Bettchen gesungen: „Der Mond ist aufgegangen.“ Ein Lied in wunderbarer spätbarocker Dichtung und doch höchst einfach in Satzbau und Wortwahl. Dazu eine Melodie, die man sich eingängiger kaum vorstellen kann. Ein Lied also, das einfach wiedergegeben werden kann und sich durch wiederholtes Vorsingen auch in kindliche Gemüter einzupflanzen weiß – so auch in meines. Heute vor genau 208 Jahren ist sein Dichter, Matthias Claudius, in Hamburg 75-jährig gestorben.

[Musik 1]

Matthias Claudius entstammte zwar einem norddeutschen Pastoren-Haushalt und genoss eine entsprechend fromme Erziehung, wurde aber weder Geistlicher noch Theologe. Und doch zog sich eine fast kindliche Gottesfürchtigkeit wie ein roter Faden durch sein gesamtes Leben. Seine Liebe zu Musik und Literatur entsprang der mütterlichen Seite, gab es doch hier Verwandtschaften mit Theodor Storm und Johannes Brahms.

Trotzdem sich Matthias Claudius zur Beschäftigung mit Gott hingezogen fühlte, lag ihm die akademische Fachtheologie nicht. Außerdem fühlte er sich den gesundheitlichen Anforderungen an den Pfarrersdienst nicht gewachsen. So trat er eine Ausbildung als Jurist und Verwaltungswissenschaftler an. In der Folgezeit aber war er nicht nur als gräflicher Sekretär tätig; Claudius zählte zu den ersten Vertretern einer neuen Berufsgruppe, der Journalisten. Mit seinem Sachverstand schrieb er für verschiedene Zeitungen und verdiente sich so seinen Lebensunterhalt. Seinen Lebensmittelpunkt hatte er zu der Zeit in Wandsbek, was noch damals noch nicht zu Hamburg, sondern ein Grenzort zu Dänemark war. Dort heiratete er 1772 die damals 17-jährige Anna Rebekka Behn, mit der er insgesamt sechs Töchter und sechs Söhne hatte.

Claudius‘ Leidenschaft galt immer der Literatur. Einträglich war das jedoch nicht gerade. Seine finanzielle Situation war stets prekär. Ab 1785 schließlich bezog er einen Ehrensold des dänischen Kronprinzen Friedrich, der von seinen literarischen Qualitäten überzeugt war. Zudem verschaffte ihm der Kronprinz einen Revisorenposten bei einer Bank: Der war gut dotiert und es war lediglich erforderlich, viermal im Jahr zur Prüfung der Quartalsabschlüsse im damals noch dänischen Altona zu erscheinen. Das verschaffte Claudius eine großzügige Freiheit für seine literarischen Tätigkeiten. Infolge von Kriegsereignissen rund um die napoleonische Besatzung in Hamburg floh Matthias Claudius zunächst nach Lübeck, dann nach Kiel. Schwerkrank kehrte er kurze Zeit später nach Hamburg zurück, wo er schließlich am 21. Januar 1815 verstarb und auf dem Wandsbeker Friedhof seine letzte Ruhestätte fand.

[Musik 2]

„Der Mond ist aufgegangen“ trägt von seinem Autor eigentlich den Titel „Abendlied“ und ist vermutlich 1778 in Wandsbek entstanden. 1779 tritt das Liedseinen Siegeszug durch die Veröffentlichung im sogenannten „Musen-Almanach für 1779“ von Johann Heinrich Voß an, was einer Platzierung in den Charts zu heutiger Zeit gleichkommen würde. Was zeichnet dieses Lied aus? Das „Abendlied“ ist eine typisch reformatorische Gattung – und so verwundert es nicht, dass Claudius bei einem anderen großen Dichter der Reformation ein wenig abgeschrieben hatte: Ich meine Paul Gerhardt und sein Lied
„Nun ruhen alle Wälder“, von 1647, also knapp 125 Jahre früher. Die Textzeile „…die goldnen Sternlein prangen…“ ist sogar wörtlich einer Gerhardt-Dichtung entnommen. Kein Wunder also auch, dass Claudius zum Singen des Liedes zunächst die Gerhardt‘sche Melodie von „Nun ruhen alle Wälder“ vorgesehen hatte.

Johann Abraham Peter Schulz schließlich komponiert 1790 die bekannteste Melodie zum „Abendlied“ von Matthias Claudius, die bis heute unerreicht blieb. Und das, obwohl sich in gut 70 weiteren Kompositionen auch große Musiker wie Franz Schubert, Michael Haydn und Carl Orff am „Abendlied“ versuchten.

Johann Gottfried Herder nahm das Lied als einziges zeitgenössisches Werk in den zweiten Teil seiner „Volkslieder“ auf – und so fand „Der Mond ist aufgegangen“ Einzug in die deutsche populäre Liedkultur, wird zu einem echten „Volkslied“. [SF1]

Immer wieder haben sich auch Gegenwarts-Künstler aller Richtungen mit einer zeitgenössischen Interpretation des „Abendliedes“ beschäftigt, Pe Werner im Duett mit Xavier Naidoo, Hannes Wader, Herbert Grönemeyer, Achim Reichel, Nena, Peter Schreier und selbst Heino oder Freddy Breck…um nur ein paar Namen zu nennen.
Es ist daher wohl nicht übertrieben, wenn ich das „Abendlied“ Lied als eine der wichtigsten Schöpfungen der abendländischen Lyrik bezeichne.

[Musik 3]

Die faszinierende Einfachheit des „Abendliedes“ von Matthias Claudius machte es dem Text nicht leicht, literarisch anerkannt zu werden. Gerade in den ersten Strophen spricht aus dem Text eine kindlich-fromme Grundhaltung, die einige als „naiv“ und „einfältig“ ablehnten. Gerade diese Grundhaltung aber ermöglicht es doch vielen Menschen, in Beziehung zur reformatorischen Gottesfürchtigkeit der Spätbarockzeit zu finden. Claudius hat für einfache Menschen in einfacher Sprache geschrieben. Schon die erste Zeile seines „Abendliedes“ ist eigentlich ein sprachlicher Geniestreich: „Der Mond ist aufgegangen…“ So selbstverständlich uns diese Zeile heute über die Lippen geht, weil wir sie kennen, weil sie uns vertraut ist – sie erzeugt gerade im Bereich der Lyrik Aufmerksamkeit. Bei „Aufgang“ denken wir unweigerlich an die Sonne. Das war zur Entstehungszeit des „Abendliedes nicht anders als heute. Wie viele Lieder besingen den Sonnenaufgang als Beginn eines neuen Tages? Diese Selbstverständlichkeit zu besingen – kaum erfolgversprechend. Im Gegensatz dazu wird der Mond kaum besungen. Und nun lässt Claudius ihn sogar aufgehen – wie die Sonne. Das macht aufmerksam. Gleich darauf schafft er durch eine wahre Wort-Malerei eine ruhige Naturlandschaft. Ein beruhigendes Bild, aus dem schon zwischen den Zeilen eine gewisse Dankbarkeit spricht. Die Nacht – keine dunkle Horror-Szene – eher ein Bild zum Wohlfühlen, ein Bild, das auch Sicherheit vermittelt. Der Wald schweigt, der wunderbare, weiße Nebel steigt aus den Wiesen empor. Nichts vom vielbeschriebenen Schrecken der Nacht, die vielfach als Szene für kriegerische Überfälle oder das Sterben von Menschen dient, vor deren Dunkelheit die Menschen sich fürchten.

[Musik 4]

„Der Mond ist aufgegangen“

führt in seinen einfachen Sätzen ganz behutsam in eine ehrfürchtige Haltung Gott gegenüber ein: All‘ das, was wir erfahren, ist letztlich Gott zu danken. Und wenn es tagsüber bittere Erfahrungen waren, so dürfen wir sie ihm in der Ruhe der Nacht vertrauensvoll in Gottes Hände legen. Wir dürfen sie ihm anvertrauen, weil er sie gut zu ordnen weiß. Denn – das erläutert Claudius in der dritten Strophe des „Abendliedes“ wieder am Beispiel des Mondes, manchmal sehen unsere Augen einfach nur die halbe Wahrheit, haben keinen Zugang zum vollen Bild. Das ist wie beim Mond – wir sehen ihn oft nur halb, wissen aber, dass er rund ist. Die andere Hälfte, die oft zu Wahrheiten dazugehört, können wir nicht auf den ersten Blick erkennen.

So verbindet sich das „Abendlied“ auf denkwürdige Weise mit einem Satz aus einem Brief des Neuen Testamentes, der heute in vielen katholischen Gottesdiensten gelesen wird: „Die Gestalt dieser Welt vergeht,“ so mahnt der Apostel Paulus dort die Menschen von Korinth. Und nicht alles, was wir dort, in dieser Welt, wahrnehmen, ist die ganze Wahrheit.

Doch auch dieses scheinbare Defizit belastet Claudius in seiner Grundhaltung nicht: Er vertraut voll darauf, dass auch das in der grenzenlosen Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes gut aufgehoben ist – und letztlich dort auch seine Vollendung finden wird.

Matthias Claudius nimmt in der vierten Strophe seines „Abendliedes“ schließlich den Menschen in den Blick: Menschenkinder, „sind eitel arme Sünder“, stellt er fest. Und er reiht sich damit in eine Betrachtungsweise Martin Luthers ein, der am Ende seines Lebens in einem seiner bedeutendsten Zitate feststellt: „Wir sind Bettler – das ist wahr.“ Claudius stellt sich ganz in die Reihe des Reformators und erkennt die nur begrenzten Fähigkeiten des Menschen an. Das aber wiederum nicht als Defizit – sondern als schlichte Tatsache. Als Begründung Grund genug dafür , sich in der Sicherheit des Schöpfers aufgehoben wissen zu dürfen. Indirekt höre ich hier den Aufruf , vom eitlen Weg des Menschen mit Allmachts- und Allfähigkeits-Phantasien weg eine Umkehr hin zu Gott zu vollziehen. Er weiss zu vollenden, was bei uns stückhaft ist in unserer Existenz. Wiederum entdecke ich darin einen Bezug zu den Bibeltexten, die am heutigen Sonntag in den katholischen Gottesdiensten verlesen werden. Das Reich Gottes ist nahe – kehrt um und glaubt an die frohe Botschaft heißt es da von Johannes dem Täufer im Markus-Evangelium. Und das Buch Jona des Alten Testamentes berichtet in diesem Zusammenhang gar von einer Umkehr Gottes in seinen Plänen: Weil die Menschen von Ninive Buße taten und von ihrem Weg abgingen, verwirft Gott seine Pläne für die Zerstörung der Stadt. Er weiß um unser stückhaftes Sein, aber führt uns nicht in den Untergang.

[Musik 5]

Zum Abschluss seines „Abendliedes“ liefert Matthias Claudius einen berührenden Perspektivwechsel. Er ermutigt die Mitmenschen, sich in gutem Gottvertrauen zum Schlaf niederzulegen. Dann ruft er Gott selbst um Barmherzigkeit an, wenn er ihn um die Verschonung von Strafen in der bevorstehenden Nacht bittet. Und er bittet nicht nur für sich und die Seinen um eine gute Ruhe – sondern auch für den „kranken Nachbarn“. Damit macht er dann wieder den Blick ganz weit und ermutigt auch seine Weggefährten zur Solidarität. Selbst der „kranke Nachbarn“ -egal, wer er auch sei- soll in das Nachtgebet eingeschlossen sein. Anrührend ist das für mich, weil Claudius hier keine Voraussetzungen mehr für den Gottesfrieden in der Nacht macht. Alle sollen sich in diesem Nachtfrieden geborgen wissen – unterschiedslos.

Mir begegnet diese Grundhaltung auch heute noch in der Äußerung von Gesprächspartnern: „Schließ mich mal mit in dein Nachtgebet ein.“ Nicht, um irgendwelche Wunder von Gott zu erbitten oder solche zu vermitteln. Sondern, um die Sorgen, Nöte und Probleme einfach am Ende eines anstrengenden Tages Gott hinzuhalten und anzuvertrauen in dem Bewusstsein, dass all‘ das bei ihm schon gut aufgehoben ist.

Ein schöner Gedanke, mit dem ich Sie gerne in diesen Sonntag entlasse. Vielleicht denken Sie heute Abend an den Mond, der aufgegangen ist – auch wenn Sie ihn möglicherweise gar nicht sehen. In diesem Vertrauen haben übrigens während der einsamen Lockdown-Tage der Corona-Zeit viele hundert Menschen Abend für Abend voller Gottvertrauen das „Abendlied“ des Matthias Claudius angestimmt.

Ein wenig dieses kindlichen Gottvertrauens täte uns auch angesichts der aktuellen Krisen allen gut.

Einen gesegneten Sonntag wünscht Ihnen Ulrich Clancett aus Jüchen.

[Musik 6]

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