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Das Geistliche Wort | 04.02.2024 | 08:40 Uhr

Religiöse Vielfalt leben

Immer mehr Leute trauen sich, „…diskriminierende und hasserfüllte Positionen zu äußern…Wir erleben insgesamt ein Klima der Verrohung.“ Das sagt die Bertelsmann-Stiftung und sie stützt sich dabei auf aktuelle Umfragen.[1] Und sie fragt weiter: „… wie können wir allen Formen menschenverachtender Haltungen … erfolgreich entgegentreten?“ Mich hat diese Fragestellung 17 Jahre lang begleitet und zwar als Schulseelsorger an einem katholischen Gymnasium im Duisburger Norden, wo Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern leben. Und die Erfahrungen, die ich da gemacht habe, die geben mir die Hoffnung, dass das geht, dass Menschen unterschiedlicher Religionen und unterschiedlicher kultureller Hintergründe gut zusammenleben können – in der Nachbarschaft, im Stadtteil, in der Schule. Ich bin Hermann-Josef Grünhage und wünsche Ihnen einen guten Morgen!

Musik I: Jethro Tull, Bourée


Wie kann ein Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen gelingen? Wenn ich in den aktuellen Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung schaue, der Umfragen auswertet, dann muss ich sagen: Das gute Zusammenleben scheint derzeit sehr bedroht zu sein. Es gibt einen immer offener zu Tage tretenden Antisemitismus, gleichzeitig gibt es Anfeindungen gegen muslimische Mitmenschen – und auch die Christen erleben eine neue Situation, nachdem zum Beispiel der Kölner Dom aufgrund einer islamistischen Terrordrohung gesperrt werden musste.

Ich frage mich: Warum ist das so? Können vielleicht einige Menschen religiöse Vielfalt nicht ertragen? Ist religiöse Vielfalt eine Last oder vielleicht doch ein Segen? Und dann: Macht es Sinn, miteinander im Gespräch zu sein? Papst Franziskus hat dazu eine klare Meinung. Er sagt: „Der interreligiöse Dialog ist ein dringender und unersetzlicher Dienst an der Menschheit.“[2]

Das hört sich gut an, aber ist das wirklich so? Ist der Dialog der Religionen, also das Gespräch der Menschen unterschiedlicher Religionen miteinander, wirklich etwas Notwendiges? Und ein Dienst an der Menschheit?

Ja, ist er! Ich habe in der Schule meinen Schülern immer versucht, das so zu erklären, und zwar anhand der Noah-Geschichte aus der Bibel (vgl. Gen 6-9). Da geht es um folgendes: Weil das Böse auf der Erde immer mehr zunimmt, will Gott alle Menschen und alle Tiere auf der Erde vernichten. Einzige Ausnahme: Noah und seine Familie und jeweils ein Pärchen aus der Tierwelt. Die sollen auf der Arche die Sintflut überleben, so dass das Leben auf der Erde doch weitergehen kann. Es kommt dann auch so: Die Erde wird von Wasser überschwemmt, alle Menschen und Tiere sterben – und nur die Insassen der Arche überleben. Und am Ende der Geschichte schließt Gott einen Bund mit Noah und seinen Nachkommen und auch mit allem anderen Lebendigem auf der Erde und sagt: Nie wieder werde ich eine Sintflut kommen lassen und alles auf der Erde vernichten.

Und jetzt kommt der springende Punkt: Noah kennt eigentlich keine Religion; er war nämlich weder katholisch, noch evangelisch. Noah war auch kein Jude, er war auch kein Muslim und kein Buddhist. Von Noah heißt es nur, er war ein gerechter Mann. Und wenn aus Noah und seiner Familie die ganze Menschheitsfamilie hervorgeht, wie es der biblische Mythos sagt, dann heißt das doch: Der Bund Gottes, der Segen Gottes, der gilt allen Menschen, ganz egal, welcher Religion sie angehören – bis heute. Und wie in einer Familie müssen die Religionen, will heißen ihre Mitglieder, im Gespräch miteinander bleiben.

Musik II: Kudsi und Süleyman Erguner, Dua (Salim Bey)


In Familien gibt es ja durchaus unterschiedliche Meinungen. Da wird dann auch gesprochen, durchaus kontrovers: wer hat recht, wer nicht, welche Argumente überzeugen, welche nicht. So ist das auch in der Menschheitsfamilie bei der Frage, welche Religion denn die richtige ist. Nach dem Prinzip des Noah aus dem Alten Testament, steht für mich fest: Wir stehen alle unter dem Segen Gottes, nur gehen wir religiös völlig unterschiedliche Wege. Können wir dann aber noch irgendwie zusammenkommen, so frage ich mich.

Vielleicht geht es ja auf folgender Basis: Ich halte meine Religion für wahr, ich bin damit gut gefahren, aber ich gestehe das auch dem anderen zu. Also jeder hat auf seine Weise Recht. Aber – so frage ich mich – kommen wir so zueinander bei aller Verschiedenheit der Religionen, die man nicht wegdiskutieren kann?

Das Zweite Vatikanische Konzil hat vor 60 Jahren dazu einen wichtigen Gedanken formuliert. Die Versammlung aller katholischen Bischöfe der Welt sagte damals (Nostra aetate, Über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen, 1):

Sprecherin:

„Die Menschen erwarten von den verschiedenen Religionen Antwort auf die ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins, die heute wie von je die Herzen der Menschen im tiefsten bewegen: Was ist der Mensch? Was ist Sinn und Ziel unseres Lebens? Was ist das Gute, was die Sünde? Woher kommt das Leid, und welchen Sinn hat es? Was ist der Weg zum wahren Glück? Was ist der Tod, das Gericht und die Vergeltung nach dem Tode? Und schließlich: Was ist jenes letzte und unsagbare Geheimnis unserer Existenz, aus dem wir kommen und wohin wir gehen?“

Damit unterstreicht die katholische Kirche: In allen Religionen finden sich Spuren der Wahrheit. Also können wir gar nicht anders, als gut, sogar mit Hochachtung miteinander umzugehen.

Musik III: Kudsi und Süleyman Erguner, Nefes (Salim Bey)


Gut miteinander umgehen, sich gegenseitig schätzen – das hört sich gut an und klingt eigentlich auch wie selbstverständlich. Als Schulseelsorger habe ich gelernt, dass das alles andere als selbstverständlich ist, wenn das im Alltag in der Schule auch umgesetzt werden soll. Denn es setzt erst einmal Kenntnis übereinander voraus, Sensibilität und die Bereitschaft, Kompromisse einzugehen. Und alle Beteiligten müssen ihre jeweiligen Grenzen erkennen und akzeptieren.

Kenntnisse übereinander zu erwerben, das sollte an einer Schule ja nicht allzu schwierig sein. Kompromisse einzugehen oder Grenzen zu ziehen und auch zu akzeptieren, das ist schon schwieriger. Ich erzähle mal ein Beispiel: Wir haben in der Schule die Praxis, das beim Schulgottesdienst alle Kinder nach vorne kommen, um entweder die Kommunion oder einen Segen zu empfangen. Das Problem ist natürlich: Nichtchristliche Schüler können schlecht gesegnet werden mit der christlichen Formel: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Deshalb sagen wir zum Segen: Der allmächtige Gott segne und behüte dich. Eine Kleinigkeit, ein Kompromiss – aber ein Zeichen des Respekts vor den Anhängern anderer monotheistischer Religionen.

Zugegeben: Es gab immer wieder mal den Einwand, hier wird ein wesentliches Element des christlichen Glaubens aufgeben: die Vorstellung von einem dreifaltigen Gott. Allerdings gibt es diese Segensformel ja häufig in den christlichen Gemeinden: „Gott segne dich“. Punkt. So haben zum Beispiel meine Frau und ich unsere Kinder gesegnet, als sie noch klein waren. Da haben die nämlich noch nicht verstanden, was so eine Segensformel bedeutet vom Vater und Sohn und Heiligem Geist. Aber sie haben gespürt, da ist Gott und der liebt mich. So gesehen stehe ich voll und ganz hinter einer knappen Segensformel für nichtchristliche Schülerinnen und Schüler, die nur von Gott spricht.

Ich will aber noch ein anderes Beispiel aus dem Schulalltag erzählen, was zeigt, dass man nicht immer nur Kompromisse findet, wenn es ums Gebet geht.

Einmal kamen muslimische Schüler zu mir und die wollten gerne das Mittagsgebet verrichten. Dazu bot sich unser Meditationsraum an, der mit einem Teppich ausgestattet ist, in dem allerdings auch ein Kreuz hängt, wie in jedem Raum unserer Schule. Ich habe den Schülern diesen Meditationsraum zur Verfügung gestellt, allerdings mit der Auflage, dass das Kreuz hängen bleiben muss. Immerhin ist das Kreuz ein Identitätszeichen der katholischen Schule. Ich fühlte mich an diesem Punkt in der Pflicht, meine Verantwortung als katholischer Schulseelsorger wahrzunehmen. Aber auch für die Muslime war eine Grenze erreicht. In einem Raum mit christlichem Zeichen, wollten sie dann doch nicht beten. Aber vielleicht ist darüber ja noch nicht das letzte Wort gesprochen. Jedenfalls ist mir sehr bewusst, dass es eine Herausforderung bleibt, wie Anhänger verschiedener Religionen wertschätzend miteinander umgehen.

Musik IV: Kudsi und Süleyman Erguner, Voyager Bey (Salim Bey)


Wie wertschätzend miteinander umgehen – vor allem in religiösen Fragen? Manchmal ist es gut, auch neue Wege zu gehen. Und davon möchte ich zum Schluss auch noch berichten. An der katholischen Schule, wo ich 17 Jahre lang tätig war, wird nun eine muslimische Referendarin ausgebildet. Gamze Varol unterrichtet Deutsch und Musik und ich habe sie gebeten einmal zu erzählen, wie sie als Muslimin religiöse Vielfalt an einer katholischen Schule erlebt.

Frau Varol, wie kam es denn eigentlich dazu, dass Sie Ihr Referendariat gerade an einer katholischen Schule machen wollten?

Gamze Varol:

Ich habe mich für eine Referendariatsstelle bewerben müssen und habe es einfach darauf ankommen lassen, wo ich lande. Und als ich dann erfuhr, dass ich an einer katholischen Schule anfange, da war ich sehr gespannt. Ich habe mich gefreut und hab’s bis jetzt auch nicht bereut.


Hermann-Josef Grünhage:

Wie sind sie denn an unserer Schule hier aufgenommen worden?


Gamze Varol:

Ich wurde direkt am ersten Tag schon ganz herzlich von allen aufgenommen. Die Schülerinnen und Schüler haben sich sehr gefreut auch eine Lehrkraft wie mich mal zu sehen, die nicht katholisch und nicht deutschstämmig ist.


Hermann-Josef Grünhage:

Wenn Sie sagen, sie wurden vorgestellt als Muslimin, das heißt ja – die Hörer können Sie nicht sehen – Sie tragen kein Kopftuch


Gamze Varol:

Ich trage kein Kopftuch, nein.


Hermann-Josef Grünhage:

Wenn Sie mal ein Kopftuch tragen wollten, meinen Sie, das gäbe hier einen Konflikt?


Gamze Varol:

Das gehört zu der Frage, zu welchen Kompromissen wir bereit sind. Wenn wir selber als Lehrkräfte auch davon ausgehen, dass die Schülerinnen und Schüler keine Kopfbedeckung tragen, so steht es in der Hausordnung, dann muss ich das natürlich auch respektieren und auch tolerieren, dass es dann nicht so ist. Da müsste ich mich selber dann in dem Fall noch mal hinterfragen, ob ich das machen wollen würde oder nicht.


Hermann-Josef Grünhage:

Sind Sie denn irgendwo an einer Stelle an Grenzen gestoßen, wo Sie gesagt haben: Ne, hier, das kann ich nicht mitmachen.


Gamze Varol:

Tatsächlich, direkt am Anfang des Referendariats, weil für mich noch nicht so klar war, ob ich das Kreuzzeichen auch machen muss beim gemeinsamen Beten in der ersten Stunde. Da ging ich direkt zur Schulleitung und es wurde mir gesagt, dass ich das Kreuzzeichen natürlich nicht machen muss, so wie es auch von den Schülern anderer Religionen nicht erwartet wird. Wichtig ist der Respekt, den wir zeigen und auch erwarten, wenn Gebete einer anderen Tradition gesprochen werden.

Hermann-Josef Grünhage:

Was motiviert Sie, hier in unserer katholischen Schule tätig zu sein als Musiklehrerin und als Deutschlehrerin?


Gamze Varol:

Als Musiklehrerin möchte ich die Schüler und Schülerinnen zu unterschiedlichen kulturellen und religiösen musikalischen Prägungen hinführen. Die kulturelle Vielfalt im Schulleben ist mir sehr wichtig. Ich bin da geprägt vom persischen Sufi-Mystiker Rumi oder Mevlana, der sagte, egal, wer du bist, du bist immer willkommen. Also komm, wer auch immer du bist. Und das erleben wir hier im Schulalltag am Abtei-Gymnasium in Duisburg-Hamborn.


Hermann-Josef Grünhage:

Komm, wer auch immer du bist. Es geht also doch, das Miteinander von Menschen verschiedener Religionen. Meine Erfahrung als Schulseelsorger an einer katholischen Schule hat mir gezeigt: Da wo Menschen sich tatsächlich Zeit füreinander nehmen, Zeit für das Interesse am Anderen, Zeit, um mehr vom Anderen zu wissen, Zeit, um eigene Grenzen wie auch die des Anderen auszuloten und zu akzeptieren, da kann ein Miteinander gelingen. – Und – was wahrscheinlich das Wichtigste ist: Ich muss zunächst einmal das Gute beim Anderen voraussetzen. Dann können wir – und davon bin ich überzeugt – miteinander in religiöser Vielfalt gut leben.

Aus Duisburg grüßen Sie Gamze Varol und Hermann-Josef Grünhage.

Musik V: Jethro Tull, God rest ye merry gentlemen



[1] Vgl.: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/0RZ_BS-0302_Religionsmonitor_kompakt_web.pdf.

[2] Zitiert nach: https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2022-09/papst-franziskus-kongress-weltreligionen-ansprache-wortlaut.html.

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