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Das Geistliche Wort | 18.02.2024 | 08:40 Uhr
Jona
als Domdechant vom Kölner Dom kenne ich fast jede Ecke dieses riesigen Gotteshauses. Besonders gerne gehe ich morgens durch den Dom, wenn die Morgensonne scheint und die bunten Glasfenster das Innere verzaubern. Im Dom sind ja viel Kostbarkeiten, die Altäre, Bildern Grabstätten und natürlich der Dreikönigenschrein. Aber vieles wir seit Aschermittwoch verhängt und abgedeckt. In der Fastenzeit sollen ja auch die Augen fasten. Aber die Fenster, nein, die kann man nicht verhängen, die leuchten weiterhin. Und das freut mich.
Musik I: Jan Garbarek Group, Maracuja
In der Fastenzeit sind hier im Kölner Dom viele wunderschöne Altäre und Bilder verhangen und verdeckt. Nur die Glasfenster nicht und so strahlt jeden Morgen auch ein kleines Fenster, das mich schon lange fasziniert. Es zeigt einen großen Fisch, aus dessen Maul ein Mann in einem violetten Gewand herauskommt. Dargestellt ist hier der Prophet Jona, von dem das Alte Testament berichtet. Über seine Geschichte lohnt es sich nachzudenken. Für mich ist das ein guter Einstieg in diese Vorbereitungszeit auf Ostern, die seit Aschermittwoch in der katholischen Kirche begonnen hat. Denn in dem, was Jona denkt und tut, finde ich auch eine ganze Menge von mir selbst wieder. Es beginnt damit, dass Jona von Gott einen Auftrag erhält:
Sprecherin:
„Das Wort des Herrn erging an Jona: Mach dich auf den Weg nach Ninive, der großen Stadt, und rufe über sie aus, dass ihre Schlechtigkeit zu mir heraufgedrungen ist. Jona machte sich auf den Weg; doch er wollte nach Tarschisch fliehen, weit weg vom Herrn.“
Was für ein Auftrag! Jona soll den Bewohnern von Ninive verkünden, dass ihre Stadt dem Untergang geweiht ist. Ich kann mir gut vorstellen, was dem Jona da alles durch den Kopf geht: Dass wird nicht gut ausgehen – vor allem nicht für mich. Ich werde bestimmt Prügel beziehen. Ich will gar nicht nach Ninive. Aber dem Herrn widersprechen? Das geht auch nicht. Aber Auftrag hin oder her, das wird ein Himmelfahrtskommando, dem ich mich besser nicht aussetze. Ich tue einfach so, als wäre alles in Ordnung, und laufe dann einfach weg.
Diese Gedanken des Jona, sind auch mir gar nicht fremd. Da wird mir eine Aufgabe übertragen, – und dann kommen mir Bedenken: Damit werde ich mir keine Freunde machen. Warum gerade ich? Mir geht das manchmal bei Personalgesprächen so. Da muss ich unangenehme Gespräche führen, Mahnungen aussprechen oder auch mit Kritik rechnen. Die Gespräche habe ich zugesagt – aber schiebe sie dann auf die lange Bank. Ist kein direktes Weglaufen, kommt dem aber ziemlich nah… Und wie geht das bei Jona weiter?
Sprecherin:
„Jona machte sich auf den Weg. Er fand ein Schiff, das nach Tarschisch fuhr. Er bezahlte das Fahrgeld und ging an Bord, um mitzufahren, weit weg vom Herrn.
Wie erleichtert mag Jona wohl gewesen sein, als endlich das Schiff ablegt. Und bestimmt hat er sich selber auf die Schulter geklopft: Jetzt kann mir nichts mehr passieren. Ich bin raus aus der Nummer…
Ja, es gab und gibt auch in meinem Leben Situationen, da will ich weglaufen, mich aus dem Staub machen: Wenn ich mich mit einer Aufgabe überfordert fühle, wenn ich Fehler gemacht habe, wenn ich jemandem gegenüber unehrlich war. Wenn ich Kritik und Vorwürfe fürchte, wenn ich mich einer unangenehmen Begegnung nicht stellen will. Dann kommt mir jeder andere Termin gerade recht, um auch raus aus der Nummer zu sein.
Musik II: Jan Garbarek und Bugge Wesseltoft, Rites
Hauptsache weg und raus aus der Nummer. Letztlich ist das nichts anderes als einfach mal ab- und unterzutauchen. Sich der Wirklichkeit stellen, Manöverkritik aushalten, schwierige Interviews geben, das geht eigentlich anders. So muss Jona bald schon erkennen, dass er die Rechnung ohne Gott gemacht hat, denn so leicht lässt der sich nicht für dumm verkaufen.
Sprecherin:
Der Herr aber warf einen großen Wind auf das Meer und es entstand ein gewaltiger Seesturm und das Schiff drohte auseinanderzubrechen.
Da sagte Jona zu den Seeleuten: „Nehmt mich und werft mich ins Meer, damit das Meer sich beruhigt und euch verschont. Denn ich weiß, dass dieser Sturm durch meine Schuld über euch gekommen ist.“
Ich glaube ja, Jona hat schnell Muffensausen bekommen, vor allem, weil er letztlich andere mitreingerissen und in Gefahr gebracht hat. Ein ziemlich schlechtes Gewissen wird er da bekommen haben.
Und wieder muss ich in mein Leben schauen: Rückblickend gibt es auch da einige Stürme, die ich selbst verursacht habe. Weil ich mich vor der Übernahme von Verantwortung drückte und weil ich nicht zu meinen Fehlern stand, hatte das Konsequenzen für andere: Falsche Verdächtigungen, Argwohn, oftmals entwickelte sich eine Dynamik, die alles noch viel schlimmer machte. Stürmische Zeiten halt.
In den unterschiedlichen Phasen meines Lebens. Schule, Studium, Beruf und Freizeit musste auch ich immer wieder mal die schmerzhafte Erfahrung machen, dass ich zwar einige Zeit mit einem schlechten Gewissen leben kann. Die Wahrheit auszusprechen, ehrlich zu mir und anderen zu sein, das braucht Mut, aber am Ende ist es gut für die anderen – und vor allem für mich. Jetzt ist es raus. Auch wenn es für mich Konsequenzen hat, ich kann wieder aufrecht gehen und in den Spiegel schauen. Nicht selten gibt es ein kurzes reinigendes Gewitter. Und danach legt sich der Sturm.
Musik III: Jan Garbarek, The tall tear trees
Sprecherin:
„Der Herr aber schickte einen großen Fisch, dass er Jona verschlinge. Jona war drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches. Da betete Jona zum Herrn: Was ich gelobt habe, will ich durchführen. … Da befahl der Herr dem Fisch und dieser spie den Jona an Land.“
Wenn ich mich wieder in den Jona hineinversetze, dann hätte ich schon mit meinem Leben abgeschlossen, als mich die Seeleute über Bord ins Meer warfen. Leb wohl, schöne Welt. Aber es kommt wieder einmal alles ganz anders.
Jona überlebt. Im Bauch eines Fisches. Und als Jona verspricht, den ursprünglichen Auftrag zu erfüllen, da spuckt der Fisch ihn ans Land. Mit anderen Worten: Auf ein Neues!
Es gibt Situationen, da stand auch mir das Wasser bis zum Hals, der Boden war mir unter den Füßen weggezogen. Ich hatte das Gefühl unterzugehen. Und plötzlich konnte ich mich an etwas festklammern, das Hoffnung und Zuversicht schenkte und ich sah das rettende Ufer. In Beziehung auf schwere Krankheiten, beim Tod von Menschen, die mir sehr nahe standen und beim Blick auf soviel Leid in der Welt: Ich sage nur Krieg in der Ukraine, Terror am 7. Oktober in Israel mit kriegerischen Folgen, Naturkatastrophen. Immer, wenn scheinbar alles aus war, fand ich Halt. Und dieser Halt hat bei mir persönlich mit Gott zu tun. So wie bei Jona. Aber bei dem ging es noch weiter.
Sprecherin:
Das Wort des Herrn erging zum zweiten Mal an Jona: Mach dich auf den Weg. Jona machte sich auf den Weg und ging nach Ninive, wie der Herr befohlen hatte. Jona rief: Noch 40 Tage und Ninive ist zerstört.
Gott hat die Reset-Taste gedrückt. Und diesmal haut Jona nicht ab, sondern er steht zu Gott und dessen Auftrag. Er geht und verkündet die anstehende Zerstörung.
Ich finde daran so tröstlich, dass Gott dem Jona erst einmal keine Vorhaltungen macht. Auch ich mache Fehler und enttäusche sicherlich damit auch Gott, weil ich zum Beispiel zu wenig von Gottes Liebe an andere Menschen weitergebe, weil ich versucht bin, Menschen einzuordnen, statt ihnen vorbehaltlos zu begegnen. Weil ich zwar gerne Priester bin, aber immer wieder im Alltag das Gebet, das ist für mich der Dialog mit Gott, zu kurz kommt. Wie tröstlich für mich zu wissen, dass Gott mir zutraut, es in Zukunft besser zu machen.
Übrigens: Die Jona-Geschichte zeigt, dass es tatsächlich auch besser gehen kann. Jetzt aus einer anderen Perspektive.
Sprecherin:
Und die Leute von Ninive glaubten Gott. Sie riefen ein Fasten aus, und alle, Groß und Klein zogen Bußgewänder an. Und Gott sah ihr Verhalten, er sah, dass sie umkehrten und sich von ihren bösen Taten abwandten. Da reute Gott das Unheil, das er ihnen angedroht hatte, und er tat es nicht.
Die Menschen in Ninive erkennen den Ernst der Lage, kehren um und machen deutlich: Wir haben verstanden. Und Gott? Der wird im wahrsten des Wortes gnädig gestimmt und er rückt von der Zerstörung ab. Gott ist ein gerechter Gott, und wieder ein barmherziger – so wie bei Jona selbst. Ja, ihm tut es leid, er hat Mitleid.
Ich erwische mich selbst dabei, das Wort „Mitleid“ negativ zu sehen. Mein mitleidiger Blick auf einen Sachverhalt oder noch schlimmer auf einen Menschen, steht in der Gefahr, von oben herabzukommen und wenn ich aus Mitleid ein Projekt unterstütze – durch Mittun oder mit einer Spende, dann muss ich sehr aufpassen, dass ich das nicht in gönnerhafter Manier oder auch mit Blick auf die Spendenquittung tue.
Dabei geht es um mehr. Mitleid kennt das Mit-Leiden. So sagen wir im Deutschen zum Beispiel: „Ich mag dich leiden“. Und damit drücken wir unsere Sympathie aus. Und genau so ist Gott: Gott mag uns leiden. Gott mag mich leiden. Ich bin ihm nicht egal.
Musik IV: Jan Garbarek Group, There are swallows
Spannend ist zu sehen, dass Menschen nicht gut damit umgehen können, dass Gott so viel Sympathie für die Menschen hat. Ich schaue noch einmal auf Jona.
Sprecherin:
Das missfiel Jona ganz und gar und er wurde zornig: Ach Herr, habe ich das nicht schon gesagt, als ich noch daheim war, denn ich wusste, dass du ein gnädiger und barmherziger Gott bist. Darum nimm nun mein Leben von mir; es ist besser für mich zu sterben als zu leben.
Der von Jona angekündigte Untergang Ninives bleibt aus. Er steht jetzt als Depp da: Ein toller Prophet, dessen Prophezeiung sich nicht erfüllt. Da soll man nicht zornig werden und sogar sterben wollen. Ich kann Jona gut verstehen.
Denn ich muss gestehen, das kenne ich auch. Als ich vor einigen Jahren noch in der bischöflichen Verwaltung gearbeitet habe, da musste ich komplizierte Entscheidungen treffen. Und manchmal zeigte sich, dass es andere, bessere Alternativen gab. Aber anstatt mich über das bessere Ergebnis zu freuen, fühlte ich mich über den Tisch gezogen oder sogar blamiert. Grund war mein fehlender Perspektivwechsel weg von mir hin auf die Sache. Und wie Jona habe ich mich dann eher zurückgezogen.
Sprecherin:
Jona setzte sich östlich vor der Stadt nieder. Da ließ Gott einen Rizinusstrauch über Jona emporwachsen, der seinem Kopf Schatten geben und seinen Ärger vertreiben sollte. Jona freute sich sehr über den Baum. Am nächsten Tag schickte Gott einen Wurm, der den Rizinusstrauch annagte, sodass er verdorrte. Die Sonne stach Jona auf den Kopf, da wünschte er zu sterben: „Es ist besser für mich zu sterben als zu leben.“ … Da sagte Gott zu ihm: „Du hast Mitleid mit einem Rizinusstrauch. Soll ich da nicht Mitleid haben mit Ninive, der großen Stadt, in der mehr als einhundertzwanzigtausend Menschen leben?“
Innerhalb kürzester Zeit will Jona schon zum zweiten Mal sterben. In der Sonne zerfließt Jona buchstäblich vor Selbstmitleid. Gott hält in seiner Antwort dem Jona einen Spiegel vor. Jona ist in seinem Denken und Reden ein „Ich-Mensch“. Wie weit entfernt ist er damit vom Denken und Handeln Gottes, so frage ich mich. Aber das hat auch wieder etwas mit mir zu tun.
Denn als Priester ist mir folgender Gedanke ganz wichtig: In der Nachfolge Jesu kann ich kein selbstbezogener Einzelkämpfer sein, sondern bin für andere da. Und so heißt es im Neuen Testament (Mt 22,39): „Du sollst Gott und den Nächsten lieben wie dich selbst.“ Und (Mt 7,12): „Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen.“
Es geht schließlich um den einen Appell, der Jona, mir und jedem Menschen gilt (Lk 6,36): „Seid barmherzig wie euer Vater im Himmel barmherzig ist.“
Musik V: Jan Garbarek und Ralph Towner, Oceanus
Liebe Hörerinnen und Hörer,
die Botschaft der uralten Geschichte des Jona ist für mich bis heute aktuell und passt sehr gut an den Beginn der Vorbereitungszeit auf Ostern.
So verstehe ich die Erzählung als Einladung, nicht vor meinem eigenen Leben, vor meinen Fehlern wegzulaufen, sondern mich dem immer wieder zu stellen und zu schauen, wo ich umkehren soll oder sogar nochmal neu oder ganz anders zu beginnen.
Wichtig dabei ist: Die Menschen und die Dinge nicht bloß von außen zu betrachten, wie einer, der sich für etwas Besseres hält und im schlimmsten Fall in Selbstmitleid zerfließt. Wie wäre es, sich stattdessen an dem zu erfreuen, was gut gelingt, bei anderen aber auch bei mir selbst? Das wäre doch ein Segen für uns alle – gerade in einer Zeit, wo es so viel Unglück zu beklagen gibt.
Wenn ich morgen früh wieder durch den Kölner Dom gehe und das kleine lichtdurchflutete Fenster mit dem Fisch und dem Jona sehe, dann gibt mir das Zuversicht, dass Gott die Freude an der Welt noch nicht verloren hat und es immer noch eine andere, eine bessere Perspektive auf das Leben gibt.
Aus Köln grüßt Sie Domdechant Robert Kleine.
Musik VI: Jasper van 't Hof und Charlie Mariano, Innamorta