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Kirche in WDR 5 | 26.02.2024 | 06:55 Uhr
Nicht genug Munition
Das gilt auch für die zahlreichen Postkarten und Buttons mit irgendwelchen Sinnsprüchen. Auf einer dieser Postkarten steht zum Beispiel „Ich habe schon genug Ziele – ich habe nur nicht genügend Munition.“ Und ehe Sie jetzt denken: „Also soweit kommt’s noch: Waffenverherrlichung in einer Morgenandacht…“ Ich kann Sie beruhigen: Der Satz geht tatsächlich nicht. Der ist zynisch. Der ist kalt. Der ist menschenverachtend. Trotzdem hängt der bei mir am Kühlschrank. Trotzdem habe ich den gerade zitiert. Weil: Ich denke bei diesem Satz nämlich nicht an Revolver oder Flinten. Ich denke beim Wort Ziele nicht an Fadenkreuze.
Mir kommen zum Thema „Ziele“ vielmehr so schöne Dinge in den Sinn wie Großmut. Gnade. Gerechtigkeit. Und mir wird dann bewusst, wie oft ich die verfehle. Weit verfehle. Entweder, weil ich diese Ziele aus den Augen verloren habe. Weil ich also auf Prinzipien poche – statt fünfe gerade sein zu lassen. Wo mein Ärger, mein Stolz oder meine verletzte Eitelkeit mein Handeln bestimmen. Oder schlimmer noch: Weil ich gar nicht erst versuche, die anderen, die besseren Ziele zu erreichen. Ein Blick in die Revolvertrommel meiner Seele verrät mir nur allzu oft, dass da nur gähnende Leere ist. In diesen Momenten fehlt es mir dann offenbar tatsächlich an Munition. Und zwar an Kugeln und Patronen mit dem Kaliber Liebe.
Mit anderen Worten: Eigentlich lese ich diese Postkarte an unserem Kühlschrank also eher wie „Ich habe schon genug Ziele – ich habe nur manchmal nicht genügend Liebe in mir.“ Darin liegt für mich die Provokation, wenn ich morgens diesen Spruch sehe. Zwar sagt mir das mein Kühlschrank in der Waffensprache, aber für mich piekst der Stachel dadurch etwas mehr. Der Spruch sagt mir also Tag für Tag ziemlich ungeschminkt, wo mein eigentliches Problem beim Nicht-Erreichen meiner hehren Ziele liegt: Nämlich in meinem Mangel an Munition. In meinem Mangel an Liebe. Und mir ist dabei klar: Diesen Mangel kann ich nicht beheben, indem ich in ein passendes Fachgeschäft gehe. Sondern da werde ich wohl an mir arbeiten müssen. Mein Kühlschrank erinnert mich also mit – zugegeben – ziemlich schwarzem Humor daran, dass ich nicht andere oder die Welt dafür verantwortlich mache, dass einige meiner Ziele so unerreichbar scheinen. Sondern dass ich an mir arbeite.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen guten Start in die Woche – mit Zielen und viel Liebe. Ihr Diakon Claudius Rosenthal aus Altenwenden.