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Kirche in WDR 5 | 26.03.2024 | 06:55 Uhr

In der Schwebe

Guten Morgen!

Das sagt sich so leicht daher. Denn ob der Morgen gut wird und was der Tag überhaupt so alles bringt, das ist noch gar nicht klar. Ich schaue auf den neuen Tag. Da ist so manches noch völlig offen. Ich frage mich dann: Wird es wohl gut werden oder doch eher schlecht? Oft jedenfalls ist es in der Schwebe, will heißen: es steht nicht fest. Und ich muss sagen: nicht nur am frühen Morgen ist das so, sondern die Schwebe beschreibt einen Zustand, der aktuell für viele Situationen zutrifft: Spätestens die Corona-Pandemie hat deutlich gezeigt: Planung und Sicherheit gibt es so nicht mehr. Und ich fühle mich mehr und mehr herausgefordert, Unklarheiten aushalten zu müssen. Ob in der gesellschaftlichen Debatte um die Demokratie oder in den Kirchen und ihrer Zukunftsfähigkeit. Nichts steht fest! Alles ist in der Schwebe! Und mal bin ich froh, dass nicht alles klar ist. Ein andermal kann ich es kaum aushalten. Dann ist der Schwebezustand unerträglich.

Aber immer wenn mich so ein Schwebezustand besonders herausfordert, tut es mir gut, mich an‘s Gleitschirmfliegen zu erinnern. Auch wenn sie das noch nie gemacht haben: Vielleicht können sie sich vorstellen, was das bedeutet? Bei mir war das so: ich wollte das schon immer mal machen. Ich suchte also jemanden, der Tandemflüge anbietet. Einen Gleitschirmflieger, der mich mit in die Luft nimmt. Und dem habe ich mich anvertraut, einer mir unbekannten Person, ihrer Ausrüstung, ihrer Kenntnis und ihrer Erfahrung. Eine Vertrauensübung sondergleichen. Wir fuhren also mit einer Transportseilbahn auf den Berg zu einem Absprungort. Der Gleitschirmflieger breitete den Schirm aus und hakte mich in einem Sitz vor sich ein. Wir liefen ein paar Schritte auf den Abgrund zu. Sein Hinweis: „Lauf einfach weiter, auch wenn du keinen Boden mehr unter den Füßen hast.“ Was für ein Satz! Ich tat, was er sagte. Plötzlich war der Boden unter den Füßen weg. Ich lief weiter und ich spürte, wie der Schirm sich mit Luft gefüllt hatte und uns beide durch die Luft trug. Was für ein Gefühl! Ich johlte auf vor Glück. Und dann flogen wir durch die Lüfte. Die Winde trugen den Schirm und hielten uns wie mit unsichtbarer Hand.

„Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug.“[1] Das hat einmal die Schriftstellerin Hilde Domin gesagt. Sie meinte aber nicht das Gleitschirmfliegen, wie ich es empfunden habe, sondern die existenzielle Erfahrung im Umgang mit dem Tod und der unhaltbaren Trauer.

Hilde Domin reflektiert auch einen Schwebezustand zwischen Fallen und Gehaltenwerden, wo nichts feststeht: mit dem Tod ihrer Mutter erfährt sie Verlust – und Halt. Dabei ist der Schritt in die Luft, also ins Ungewisse, zunächst wie ein trotziges „Dennoch“. Sie trotzt dem Widerfahrnis, einen lieben Menschen verloren zu haben. Und: Paradoxerweise wird sie gehalten, obwohl für sie jetzt alles haltlos scheint.

Was für eine Erfahrung, die Hilde Domin nachhaltig geprägt hat?! Eine unfreiwillige Übung, die sie weitergeführt hat. Ich weiß nicht, was Hilde Domin genau gehalten hat – aber ich bewundere ihren Schritt in die Luft.

Vielleicht hilft es, sich einmal daran zu erinnern, wenn es keinen Halt mehr gibt: Ob beim Gleitschirmfliegen, oder auch beim Sterben eines lieben Menschen: „Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug.“ Nur Mut, den Schritt in die Luft zu wagen! Es gibt etwas, das trägt – auch wenn es unsichtbar ist.

Einen guten Tag wünscht Ihnen Stefan Wiesel aus Essen.




[1] Hilde Domin, Nur eine Rose als Stütze, Frankfurt am Main 1978 (1959).

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