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Das Geistliche Wort | 21.04.2024 | 08:40 Uhr

Bernadette und Lourdes

Guten Morgen!

Kennen Sie Bernadette Sourbirous? Wahrscheinlich nicht. Aber vielleicht kennen Sie ja Lourdes in Frankreich? Das ist der größte Marienwallfahrtsort Europas mit ca. 6 Millionen Besuchern jährlich. Und dieser Ort hängt mit Bernadette Sourbirous zusammen. In einer Grotte in Lourdes soll ihr mehrmals Maria erschienen sein. Das war im Jahre 1858. Vor fünf Tagen, am 16. April, feierte die katholische Kirche den Gedenktag Bernadettes. Immerhin wird sie als Heilige in der Katholischen Kirche verehrt. Von ihr will ich erzählen, weil an ihr deutlich werden kann, was es heißt, von Gott berührt zu werden. Dabei hat mir ein Buch einen Zugang zu Bernadette eröffnet und zwar der Roman „Das Lied der Bernadette“[1]. Er stammt von Franz Werfel, einem jüdischen Schriftsteller, der vor den Nationalsozialisten in die USA floh und dort diesen Roman schrieb.

Musik I: Jan Gabarek und Hilliard Ensemble, Parce mihi domini


Wer war Bernadette Soubirous? Sie soll eine Vision, also eine Erscheinung der Gottesmutter Maria gehabt haben? 1844 in Lourdes geboren, war sie das älteste Kind einfacher und armer Leute. Sie starb 1879 in Nevers; wurde also nur 35 Jahre alt. Mit 14 Jahren erschien ihr eine Dame in einem Felsenspalt, in einer Grotte, in der Nähe von Lourdes. Vom 11. Februar bis zum 16. Juli 1858 gab es insgesamt 18 Begegnungen. Bei der 9. Begegnung am 25. Februar wies die Dame Bernadette an, nach einer Quelle zu suchen, die sie fand und aus der reichlich Wasser floss. Bei der 16. Begegnung fragte Bernadette die Dame, wer sie sei und erhielt darauf zur Antwort: „Ich bin die unbefleckte Empfängnis.“ Was auch immer das bedeuten sollte. Mehr und mehr Menschen schlossen sich Bernadette an, wenn sie zur Grotte ging. Sie konnten aber nie die Erscheinung sehen. Nach der letzten Erscheinung begab sich Bernadette noch mehrmals zu der Stelle, aber die Visionen blieben aus.

1866 trat Bernadette in das Kloster Saint-Gilard in Nevers ein. Dort verrichtete sie als Ordensschwester einfache Dienste. Und hier starb sie dann schließlich an Knochentuberkulose.

Wer war Bernadette Soubirous? Ich stelle diese Frage nochmals, denn ihre Lebensdaten markieren ja nur äußerlich einen Lebensweg. Franz Werfel hat mit Kenntnis der Dokumente und Akten ein getreues Bild von ihr gezeichnet, das in das Seelenleben Bernadettes zu leuchten versucht. Beim Lesen des Romans vor ein paar Wochen ist mir auf einmal klar geworden: Im Leben der Bernadette hat sich ein Drama abgespielt, in dem wesentliche Fragen des Glaubens verhandelt werden. Mich hat es zudem angesprochen, weil sich hier Abgründe einer Existenz zeigen. Ich kann das nur erahnen, wie ein Mensch von Gott berührt wird.

Wer ist Bernadette Soubirous? Natürlich wusste man im Kloster, dass sie dieses Mädchen war, das die Gottesmutter gesehen hatte. Aber das bedeutete: Keine Privilegien. Ganz im Gegenteil. Ihre Klosteroberinnen, setzten alles daran, sie zu kontrollieren, indem sie sie demütigten. Sie musste ihre Geschichte noch einmal persönlich vor dem versammelten Konvent erzählen – obwohl alle sie schon lange kannten. Dies geschah, um festzustellen, dass von jetzt an Schluss sei mit jeder Sonderstellung. Ihre Novizenmeisterin hatte es besonders auf sie abgesehen. Sie zweifelte an der Wahrheit dieser angeblichen Erscheinungen. Denn sie kannte Bernadette bereits aus ihrer Zeit als Lehrerin in Lourdes.

Im Roman von Franz Werfel macht sie aus ihrem Misstrauen keinen Hehl. Sie charakterisiert ihre Schülerin Bernadette so:

Sprecherin:

„ein träges, zerstreutes, gleichgültiges Ding, das nicht das geringste Interesse für die Wahrheiten der Religion besaß, das zur Not lesen und schreiben lernte und sonst durchs Leben taumelte wie eine Motte. Ein sehr leichtfertiges Ding dazu, das trotz seiner äußeren Bescheidenheit voll heimlicher Tücken und hochmütiger Widerhaken war. Ein Mädchen, dem allzeit die selbstbewussten, ja zuweilen kecken Antworten auf den Lippen saßen. Die alte Bernadette, die am liebsten die ganze Welt zu ihren Füßen sieht.“[2]

Normalerweise würde man doch denken: Wenn die Muttergottes einem Mädchen erscheint, dann muss dies ein besonderes und vor allem frommes Kind sein. Das immer in der ersten Reihe sitzt, ein sauberes Kleid trägt, die Hände artig gefaltet. Und dann, wie zur Belohnung, mit himmlischen Erscheinungen bedacht wird. Aber Bernadette entsprach ganz und gar nicht diesem Idealbild. Sie war lebhaft und lustig. Und manchmal wieder ernst und still. Eben ein Mensch aus Fleisch und Blut, kein aus dem Katechismus herausgeschnittenes Pappbild. Mir wird daran sehr deutlich: Es ist nicht der menschliche Verdienst, nicht der geistliche Kontostand, der darüber entscheidet, wie nah Gott einem kommt. Es ist letztlich ein Geschenkt – oder Gnade, wie die Theologen sagen.

Musik II: Cant'ella, Shimmering von Ola Gjeilo


Wer ist Bernadette Soubirous? Sie ist eine Störerin. Wie kommt sie dann dazu, zu behaupten: Ich habe Maria, die Muttergottes gesehen? Sie stört offenbar den gewohnten Betrieb in der Kirche, in der Stadt, im Land. Ihre Kritiker betonen: Sie hat es nicht verstanden: Religion ist Ritual und Routine. Das immer Gleiche wird wiederholt. Denn nur so kann garantiert werden, dass nichts verloren geht. Alles wohl sortiert und geordnet. Alles hierarchisch gegliedert. Der Pfarrer weiß mehr als der Laie, der Bischof mehr als der Pfarrer, und der Papst weiß sowieso alles. Was soll denn da ein 15jähriges Mädchen sich einmischen, was erdreistet es sich, von Dingen zu erzählen, die nur die dafür Befugten wissen können.

Bernadette stört. Als mir dies klar wurde, fiel mir ein anderes literarisches Stück ein: die „Legende vom Großinquisitor“ des russischen Schriftstellers Fjodor Michailowitsch Dostojewski. Sie findet sich in seinem Roman „Die Brüder Karamasow“, den Dostojewski genau in der Zeit schrieb als Bernadette in Nevers starb. In der Legende wird berichtet, dass im Sevilla des 16. Jahrhunderts auf einmal ein seltsamer Mann auftaucht. Der Großinquisitor lässt ihn gefangen nehmen, denn er erkennt: Dieser ist Jesus, der wieder auf die Erde zurückgekehrt ist. Und ihm sagt er ins Gesicht: Du störst. Denn die Kirche hat sich über die Jahrhunderte gefestigt, die Menschen haben ihre Freiheit geopfert, um bei der Kirche endlich Sicherheit zu finden. Und jetzt störst du.

Musik III: VOCES 8, Magnificat von Arvo Pärt


Wer die Ordnung stört, bekommt es mit der geballten Kraft der Autoritäten zu tun. So hat es auch Bernadette erfahren. Die wichtigsten Autoritäten ihrer Zeit: Familie, Staat. Kirche, die Presse. Sie alle glaubten ihr nicht, bedrängten sie, stellen sie als Lügnerin dar. Sie wird wie eine Verbrecherin zur Vernehmung geführt. Am 21. Februar 1858, einem Sonntag, wird sie vom Polizeikommissar Jacomet und dem Steuerverwalter Estrade einem erbarmungslosen Verhör unterzogen. Das Verhör wird protokolliert[3]:

Sprecher:

Man sagt, du würdest die Muttergottes sehen.

Sprecherin:

Ich sage nicht, dass ich die Muttergottes gesehen habe.

Sprecher:

Ach so! Du hast also nichts gesehen.

Sprecherin:

Doch, etwas habe ich gesehen.

Sprecher:

Was hast Du denn gesehen!

Sprecherin:

Etwas Weißes.

Sprecher:

Etwas oder jemanden?

Sprecherin:

Dieses Etwas hat die Form einer kleinen Dame.

Sprecher:

Du warst doch wohl mit anderen Mädchen zusammen, als Du dies Etwas gesehen hast?

Sprecherin:

Ja, mein Herr.

Sprecher:

Haben sie etwas gesehen;

Sprecherin:

Nein, mein Herr.

Sprecher:

Woher weißt Du das?

Sprecherin:

Sie haben es mir gesagt.

Sprecher:

Warum haben sie nichts gesehen?

Sprecherin:

Ich weiß es nicht.

Sprecher:

Diese kleine Dame, war sie bekleidet?

Sprecherin:

Sie trug ein weißes Kleid, einen blauen Gürtel, einen weißen Schleier auf dem Kopf und eine gelbe Rose auf jedem Fuß, wie die Farbe der Kette ihres Rosenkranzes.


Während dieses Verhörs gerät der Kommissar in immer größere Wut, tobt und schreit, will Bernadettes Worte in ihr Gegenteil verdrehen. So was war ihm noch nicht vorgekommen: ein Mädchen widersetzt sich den Autoritäten. So jemand gehört doch ins Gefängnis. Oder zumindest ist sie geisteskrank, das werden die Ärzte bestimmt bestätigen.

Einen Monat nach diesem Verhör, bei der nächsten Erscheinung, am 25. März 1858, fasst sich Bernadette ein Herz und stellt die Frage, die sie ständig bewegt: Wer bist Du, du schöne Frau? Und die Dame antwortet ihr im Dialekt der Gegend: Que soy era Immaculada Councepciou. Ich bin die unbefleckte Empfängnis.

Diese Antwort berichtete dann Bernadette dem Pfarrer in Lourdes. Der war darüber aufs höchste erstaunt. Denn vier Jahre zuvor hatte Papst Pius IX. die Lehre von der „Unbefleckten Empfängnis Mariens“ in Rom zum Dogma erhoben, also als einen feststehenden Glaubenssatz verkündet. Aber wie hätte Bernadette davon Kenntnis haben können. Hatte sie das Wort irgendwo aufgeschnappt? Aber warum gerade dieses? Alle haben an den Aussagen von Bernadette gezweifelt, und bis heute gibt es Fragen über Fragen, unendlich viele Zweifler an der Glaubwürdigkeit ihrer Visionen. Generationen von Wissenschaftlern und Journalisten haben sich überboten, um ihre offensichtlichen Märchengeschichten zu entlarven. Denn: was nicht sein darf, das nicht sein kann.

Musik IV: Cant'ella, Dreams von Antonín Tucapský


Ein bemerkenswerter Zusammenfall: Maria offenbart Bernadette ihren Namen, die „Unbefleckte“ und die Verkündigung des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis Mariens. Das Dogma von der „Unbefleckten Empfängnis Mariens“ besagt, dass Maria als einziger Mensch ohne Sünde geboren wurde. Denn nur ein sündenloser Mensch kann den Sohn Gottes gebären, so der theologische Gedanke dahinter. Dieser Gedanke war nicht neu, aber seit Jahrhunderten umstritten. Immer wieder hatten kluge Theologen die subtilsten Argumente erarbeitet, sich in immer differenziertere Definitionen und Analysen verschraubt. Und dann kommt da ein Mädchen daher und glaubt, aus dem Munde der Muttergottes selbst gehört zu haben, dass sie die „Unbefleckte Empfängnis“ sei. Was mögen da wohl all die gescheiten Theologen gedacht haben?

Nun ja, manchmal macht es den Anschein, als lehre die Kirche Buchstaben, Sätze und Gesetze. Aber die Erfahrung der Bernadette Soubirous steht dem entgegen. Hier geht es um etwas anderes als einen Artikel in einer Sammlung von Dogmen, um etwas anderes als ein Kapitel in einem Katechismus. Hier geht es um eine lebendige Erfahrung. Es geht darum, sich berühren zu lassen! Aber nur der kann sich berühren lassen, der aufmerksam ist für das Leben, der Empathie zeigt und wachsam ist.

Was auch immer in der Grotte bei Lourdes geschehen sein mag. Und was auch immer die Lehre von der Unbefleckten Empfängnis sagen will: Bernadette war aufmerksam, empathisch und wachsam. Und nur dadurch konnte sie existenziell erleben, was es heißt, sich von Gott, oder besser: von einer Heiligen berühren zu lassen, ja mehr noch, sich verwandeln zu lassen. Aber ob solch eine Verwandlung auch gezeigt werden darf? Ein heftiger Widerstreit entbrennt in Bernadette: Soll sie das Erlebte für sich behalten oder davon berichten? Bei Franz Werfel lese ich, wie Bernadette darüber nachdenkt:

Sprecher:

„Sie kämpft mit sich. Grenzenlos sehnt sich ihre Seele danach, von der Dame zu sprechen. Wie ein Liebender ist sie, der verschmachtet, weil er seine Liebe verschweigen muss. Sie weiß auch in der Tiefe ihres Herzens ganz genau, dass Unabsehbares geschehen wird, wenn sie der Versuchung erliegt und den Mund öffnet.[4]


Bernadette geht das Risiko ein, davon zu sprechen, was sie gesehen, erfahren und gehört hat. Auch wenn die ganze Welt sich gegen sie stellt, sie für verrückt und anmaßend, ungebildet und ungehorsam erklärt. Ich erkläre mir das so: Wer liebt, will von dem sprechen, wen er liebt. Maria, die Mutter Gottes hatte Bernadette in der Tiefe ihres Herzens berührt. Das konnte ihr niemand nehmen. Und das haben schließlich auch die Menschen ihrer Zeit akzeptiert. Sie haben erkannt, dass hier etwas geschehen ist, dass mit Rationalität und Zweckdenken nicht zu fassen ist, sondern zu Herzen geht. So sprach dann die Kirche 1925 Bernadette selig und 1933 sogar heilig. Und ihr Todestag, der 16. April, ist seitdem ihr Gedenktag.

Musik V: Cant'ella, Ave Maria von Mårten Jansson

[Darin:]

Begegnungen, die zu Herzen gehen. Für mich hält die Erzählung von Bernadette die Möglichkeit offen, dass Gott jeden Augenblick – wie unverständlich auch immer – einem Menschen begegnen kann. Ich muss nur aufmerksam, empathisch und wachsam sein.

Aus Köln grüßt Sie Domkapitular Dominik Meiering



[1] Franz Werfel, Das Lied der Bernadett, München 2023.

[2] Franz Werfel, a.a.O., S. 482.

[3] Zitiert in: Rolf Bauerdick, Lourdes. Freiburg-Basel-Wien 1995, S. 21.

[4] Franz Werfel, a.a.O., S. 91.

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