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Das Geistliche Wort | 09.06.2024 | 08:40 Uhr

Neid

Guten Morgen!

„Spieglein, Spieglein an der Wand – wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Wer kennt sie nicht, diese Worte der bösen, eitlen Königin aus dem Märchen „Schneewittchen“. Als Kind habe ich mir immer wieder das pastellfarbene Bild dieser selbstverliebten Königin in meinem Märchenbuch angeschaut. Eigentlich mochte ich keine Märchen, weil sie in meine friedlich-verträumte Vorstellungswelt nicht hineinpassten. Sie waren mir viel zu brutal.

Doch diese Königin hat mich auch fasziniert. Wie sie da hochmütig in den Zauberspiegel schaut, in ihrem langen, mit Perlen und goldenen Borten reich verziertem Gewand und dem spitzen Hut. Und wie sie immer wieder die Bestätigung sucht, dass sie doch die Schönste im ganzen Lande sei. Und ich fragte mich damals schon: So schlecht sieht sie doch gar nicht aus? Was ist ihr Problem? Im Märchen wird sehr schnell klar, was das Problem der Königin ist – es ist die Wahrheit, mit der der Zauberspiegel sie konfrontiert: „Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, aber Schneewittchen ist noch tausendmal schöner als Ihr!“ Schneewittchen, ihre erst sieben Jahre alte Stiefttochter, ist die wahre Schönheitskönigin und nicht sie. Mit dieser Wahrheit kann die Stiefmutter nicht umgehen. „Es kehrte ihr das Herz um“, so wird es im Märchen tiefgründig beschrieben. Wie ein Gift frisst sich der Neid in das Herz der Königin und sie beginnt ihre schöne Stieftochter zu hassen. Sie scheut noch nicht einmal vor einem Giftmord zurück. Versuchter Totschlag, würde es in der heutigen Rechtsprechung heißen, denn am Ende des Märchens wird Schneewittchen von einem Prinzen gerettet, und die von ihrem Neid geblendete Königin erhält eine brutale Strafe: Sie muss in rotglühenden Eisenpantoffeln so lange tanzen, bis sie tot zusammenbricht. Ganz schön brutal dieses Märchen von Schneewittchen, keine Frage.

Musik I: Chick Corea, Children’s song, No. 11


Die Königin im Märchen von Schneewittchen war böse, weil sie eitel und neidisch war und sogar vor einem Mordversuch nicht zurückschreckte. Aber wer meint, das sei nur im Märchen so, liegt falsch. Neidisch sein ist ein Zustand, der zum Menschen gehört wie das Verliebtsein. Es ist ein tiefes Gefühl, das streckenweise kaum kontrollierbar ist. Ich erinnere mich an die Einladung zu einer Hochzeit. Natürlich stellte sich mir sofort die Frage: Was ziehe ich an? Klar, die Braut soll die Schönste von allen sein. Aber ich möchte doch auch gut aussehen. Und dann, während der Hochzeitsfeier, kommt die Stunde der Wahrheit: Ich beginne zu vergleichen. Und finde, dass andere viel besser aussehen oder angezogen sind als ich. Neidvoll blicke ich in die Runde. Ich ziehe mich zurück und ärgere mich dann, dass ich keine Aufmerksamkeit erhalte. Erst fühle ich mich verunsichert, dann spüre ich, dass eine gewisse Aggressivität in mir wächst. Ich möchte auch wahrgenommen werden.

In homöopathischen Dosen vergifte ich das eine oder andere Gespräch, weil ich mich selbst zu sehr in den Mittelpunkt stelle. Da bin ich natürlich noch lange nicht die böse Königin wie im Märchen von Schneewittchen. Aber es lässt sich nicht leugnen: Ich war neidisch auf die anderen und meinte, den Kürzeren zu ziehen. Und nach dieser Hochzeitsfeier habe ich verstanden: Neid ist wie ein Gift, das seine Wirkung am mangelnden Selbstwertgefühl entfaltet.

Es fällt schwer, sich selbst oder anderen einzugestehen, hin und wieder neidisch zu sein. Es kommt einem Tabubruch nahe. Denn Neid ist ein Gefühl, das weltweit geächtet ist. Und die Menschen bis heute bewegt.

Musik II: Chick Corea, Children’s song, No. 6


Neid gibt es, seit es Menschen gibt. Der Wirtschaftswissenschaftler Professor Antonio Cabrales geht davon aus, dass Neid in den menschlichen Genen liegt.[1] Rein von der Menschheitsgeschichte her betrachtet hatte Neid erst einmal einen positiven Effekt: Er sicherte schon in der Frühgeschichte im Kampf um knappe Ressourcen die Existenz des Menschen. Denn nur wer mehr haben und erreichen wollte als andere, konnte sich auf Dauer behaupten.

Schon in der Antike haben sich die Menschen mit dem Phänomen des Neids beschäftigt. Der Philosoph Aristoteles zum Beispiel beschreibt den Neid als Schmerz, der auftritt, wenn andere etwas haben, was einem eigentlich selbst zustehen sollte.[2] Ende des 6. Jahrhunderts nahm Papst Gregor der Große den Neid in die Liste der sogenannten sieben Todsünden auf.[3] Dabei ist der lateinische Name für Neid Programm: Invidia. Das bedeutet übersetzt ins Deutsche: Nicht-Sehen. Also: Neid verengt den Blick in die Welt - und das ist nicht gottgewollt. Spannend wie im Hochmittelalter der berühmte italienische Maler Giotto di Bondone dies in einem allegorischen Bild plastisch vor Augen geführt hat. Aus dem Mund einer alten Frau windet sich eine Schlange, die ihr gleichzeitig in die Augen beißt. Sie kann die Welt nicht mehr sehen, wie sie ist.

Das erscheint mir auch heute nicht selten in den sozialen Medien der Fall zu sein. Unzählige Bilder werden hochgeladen, die digital optimiert und damit geschönt werden. Sie haben das Potenzial, ihre Follower neidisch zu machen. Ich denke da zum Beispiel an junge Frauen, die neidvoll auf die superschlanken, topgestylten Influencerinnen schauen, die mit perfektem Makeup und teuren Markenklamotten posieren. Und wer selbst auf diesen Social-Media-Plattformen unterwegs ist, schaut vielleicht neidvoll auf die hohen Click- und Followerzahlen der anderen.

Neid wird heute sogar bewusst über diese medialen Ausspielwege provoziert. Die Wirtschaft nutzt sie, um ihre Kosmetikprodukte zu verkaufen und mit ihnen die Illusion: „Du bist die Schönste im ganzen Land.“ Populistische Parteien nutzen den Neidfaktor skrupellos aus, indem sie Menschen gegeneinander ausspielen und damit deren Unzufriedenheit schüren. Die Parteien selber inszenieren sich dann als die Heilsbringer. Neid ist ein starkes Gefühl, das Zwietracht sät.

Und nicht zu vergessen: mit dem Neid kommt nicht selten seine böse Schwester daher – die Schadenfreude. Schon Kinder empfinden Schadenfreude, wenn die Klassenbeste eine schlechte Note einfährt, oder das Sport-As der Schule sich den Knöchel verknackst.

Interessanterweise greift der Neid auf allen gesellschaftlichen Ebenen, unabhängig vom materiellen Status: Reiche Menschen können genauso neidisch sein wie arme. Auch gesellschaftlich privilegierte Topverdiener erfasst der Neid, wenn sie feststellen, dass ihr Konkurrent den teureren Wagen fährt oder schneller Karriere macht.

Neid, so sagt Emotionsforscher Prof. Fritz Strack beruht auch auf einem Gefühl des Mangels.[4] Und dieses Gefühl kann ganz irrational sein: Denn mehr geht ja immer. Selbst der Allerreichste will noch reicher werden. Und vergleicht sich mit den anderen in seiner Einkommensliga. Fatal ist für ihn, den Selbstwert von materiellen Gütern abhängig zu machen. Die Folge ist: Unzufriedenheit. Neid ist – weiß Gott – kein gutes Gefühl.

Musik III: Chick Corea, Children’s song, No. 20


Neid hat viele Facetten und ist ein komplexes Phänomen. Ich finde es sehr interessant, was Psychologen dazu herausgefunden haben. Sie unterscheiden zwischen gutem und schlechtem Neid. Schlechter Neid ist destruktiv, zerstörerisch. Die Psychologin und evangelische Theologin Dr. Beate Maria Weingardt schreibt: „Nur wenn die Saat des Vergleichens auf den Boden der Unzufriedenheit fällt, kann Neid entstehen.“[5] Also, wenn ich neidisch bin, kann das heißen, ich bin nicht zufrieden mit mir und meinem Leben. Auf den Punkt gebracht: Ich bin das Problem, nicht die anderen. Und ich schade mir selbst, wenn ich neidisch bin. Denn dann verharre ich in dem lähmenden Gefühl keine Chance zu haben, so erfolgreich, so klug oder so reich zu werden, wie die anderen Menschen, die ich beneide. Das kann sogar zu Depressionen führen.

Ich kann natürlich versuchen der Lähmung zu entgehen, indem ich andere schlecht mache, um selbst besser dazustehen. Ich kann sie erniedrigen, nur damit ich mich besser fühle. Das wäre, sagen die Psychologen, ein feindselig-aggressives Verhalten.

Das kommt vor, wenn zum Beispiel reiche Menschen moralisch abgewertet werden. Ihnen wird unterstellt, gefühlskalt, skrupellos und korrupt zu sein. Oder es wird auf den sozial Schwachen herumgehackt: Arbeitslose und Geflüchtete werden als Sozialschmarotzer diskreditiert. Die wollen ja gar nicht arbeiten und leben nur auf Kosten der anderen, heißt es dann. Mit solchen Parolen werten sich neidische Menschen auf Kosten anderer auf. Wir hören es leider immer wieder, dass dieses von Neid gesteuerte Verhalten auch zu aggressiven, lebensbedrohlichen Übergriffen führen kann. Migranten werden verfolgt und Obdachlose zusammengeschlagen. Das Problem ist allerdings: Vom Neid gesteuerte Menschen, die aggressiv reagieren, lösen ihre eigenen Problem damit nicht im Geringsten. Im Gegenteil. „Wo Neid und Streitsucht regieren, da ist Unordnung und jedes böse Ding.“ Das sage jetzt nicht ich, das habe ich aus dem Neuen Testament, aus dem Jakobusbrief (Jakobus 3:16). Und ich finde, treffender kann man die Neidkultur unserer Gesellschaft und ihre Folgen nicht beschreiben.

Musik IV: Chick Corea, Children’s song, No. 2


Neid kann aber auch eine gute Seite haben. Er kann motivieren, einmal darüber nachzudenken, warum bin ich unzufrieden und warum überhaupt beneide ich andere Menschen.

Um dem eigenen Neid zu begegnen, muss ich nach den Ursachen für meine Unzufriedenheit fragen. Ein Grund könnte sein: Ich habe vielleicht aufgehört, mir Ziele zu setzen. Ziele, für die es sich lohnt, mich anzustrengen. Dabei sollten sie natürlich realistisch sein. Um das zu erkennen, muss ich wiederum meine eigenen Grenzen wahrnehmen. Mein Neid kann also ein Motor sein, mich selbst mit meinen Grenzen zu erkennen und innerhalb meiner Grenzen einen Handlungsspielraum auszuloten, der mich weiterbringt. Das stärkt mein Selbstbewusstsein.

Wenn ich also anderen neide, dass sie körperlich fit sind – warum nicht ein auf mich abgestimmtes Fitnessprogramm starten? Oder warum engagiere ich mich nicht auch einmal ehrenamtlich wie mein Nachbar, der viel mehr Freunde hat als ich?

Ich zitiere noch einmal den Emotionsforscher Fritz Strack. Der sagt: „Ohne Neid, der uns antreibt, anderen nachzueifern, gäbe es kaum Fortschritt.“[6] Wenn ich mich also aktiv mit meinen Neidgefühlen auseinandersetze, kann das dazu führen, dass ich mich besser in meinen Möglichkeiten und Grenzen kennenlerne und mir aktiv gute Ziele setze. Das fühlt sich dann gut an.

Musik V: Chick Corea, Children’s song, No. 1


Hier bei mir zu Hause in Köln gibt es das Sprichwort: „Mer muss och jünne künne“. Also: Man muss auch gönnen können. Eine gute Medizin gegen Neid, finde ich. Die Überwindung der Neidgefühle durch ein selbstbewusst gestaltetes Leben kann mir helfen, auch meinen Mitmenschen das Beste zu gönnen und – befreit mich von dem Joch des Vergleichens. Ich kann wieder sehen, dass die Welt groß und weit ist.

In diesem Sinne grüßt Sie Birgitt Schippers aus Köln


Musik VI: Chick Corea, Children’s song, No. 12


[1] Vgl.: https://karrierebibel.de/neid/

[2] Vgl.: Aristoteles, Rhetorik, übersetzt und herausgegeben von Gernot Krapinger, Stuttgart 1999, S. 106ff.

[3] Vgl.: Gregor der Große, [https://www.katholisch.de/artikel/23522-das-jahrhundertealte-geheimnis-der-sieben-todsuenden

[4] Vgl.: https://www.spektrum.de/alias/das-neidmotiv-warum-wir-nie-zufrieden-sind/1020716

[5] https://www.spektrum.de/alias/das-neidmotiv-warum-wir-nie-zufrieden-sind/1020716

[6] Fritz Strack, https://www.spektrum.de/alias/das-neidmotiv-warum-wir-nie-zufrieden-sind/1020716

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