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Das Geistliche Wort | 30.05.2024 | 08:40 Uhr

Fronleichnam – Die eigene Überzeugung vor sich hertragen

Guten Morgen.

„Fronleichnam!“ Ein Wort, das so fremd klingt, wie das, was damit gemeint ist. So habe ich es jedenfalls erlebt, als ich vor kurzem in einer geselligen Runde beim Griechen saß und die Frage stellte: „Woran denkt ihr, wenn ihr das Wort Fronleichnam hört?“ Die Antworten, die ich darauf bekommen habe, waren sehr unterschiedlich: „Ist einer von vielen Feiertagen, die uns ein langes Wochenende bescheren.“ „Fahrradfahren.“ „Prozession.“ „Wir haben früher immer ‚happy Kadaver‘ gesagt.“ „Das ist das Fest von Jesu Leib und Blut.“ Ich muss zugeben: diese Befragung in einem kleinen Teil meines beruflichen und persönlichen Umfeldes, ist nicht gerade repräsentativ, spiegelt aber trotzdem die Bandbreite der Gedanken zu Fronleichnam wider, mit denen ich es bisher zu tun hatte. Ich arbeite als Pastoralreferentin im Bistum Essen und damit für die katholische Kirche in der Seelsorge. Daher ist mein Eindruck, dass Fronleichnam als Fest, zumindest im katholischen Inner Circle, noch bekannt zu sein scheint.

Außerhalb dieses engeren Kreises wissen wohl die meisten Menschen hierzulande nichts mehr mit diesem Tag anzufangen, außer, dass heute frei ist und sie in der Regel nicht arbeiten müssen. Immerhin!

Musik I: Hubert Laws, Black eyed peas and rice


Fronleichnam. Zu wissen, worum es an diesem Hochfest der katholischen Kirche inhaltlich geht, ist also nicht selbstverständlich. Ganz im Gegenteil: ich erlebe das sehr oft – auch in kirchlichen Kreisen: Zwar werden katholische oder christliche Feste noch gefeiert, aber die Menschen, die sie feiern, wissen oft nicht mehr, worum es bei diesen Festen eigentlich geht. Wie ist es z.B. mit Weihnachten? Sicherlich ist es das bekannteste, christliche Fest. Aber warum wird es gefeiert? Damit sich einmal im Jahr die Familie trifft? Oder um die Kleinsten beim Krippenspiel zu sehen? Damit endlich der heiß ersehnte Geschenkewunsch erfüllt wird? Und wie ist es erst bei Ostern? Da könnte es schon etwas schwieriger werden. Ist es das Fest des Osterhasen und der Eiersuche? Und heute dann Fronleichnam. Hat das jetzt was mit einem leblosen, aber doch fröhlichen Körper zu tun?

Ich habe mich gefragt: Woher kommt es, dass nur noch so wenige Menschen in unserem Kulturkreis etwas über christliche Feste wissen? Zum einen liegt es sicherlich daran, dass das gesamtgesellschaftliche Interesse an Religion und deren Riten zurückgeht. Zum anderen erlebe ich es aber auch, dass Riten und Feste zwar gefeiert, aber oft nur noch als ausgehölte Traditionen begangen werden. Ihr eigentlicher Sinn und Zweck ist über die Jahre immer mehr in den Hintergrund getreten. Wenn dann diese Feierform hinterfragt wird, heißt es oft ziemlich schroff: „Weil wir das immer schon so gemacht haben!“ Dabei ist doch das schwächste Argument: „Weil es immer so war.“ Und auch wenn diese Antwort für manche Menschen in unserer Gesellschaft noch ausreicht – ich finde sie ziemlich platt. Da muss schon mehr kommen.

Grundsätzlicher gesagt: Christ sein und allein deswegen christliche Feste auf eine bestimmte Art und Weise zu feiern, „weil man das halt so macht“ – dieses Konzept zieht nicht mehr. Und schon gar nicht in einer Gesellschaft, die sich mehr und mehr von Religion emanzipiert. Die Zeit, in der Religion, Kult, Ritual und auch Glauben selbstverständlich waren ist vorbei – falls es sie überhaupt jemals gegeben hat. Christliche Kirchen müssen ihre Riten erklären, um verstanden zu werden – für viele absolutes Neuland.

Musik II: Hubert Laws, Let her go


Religiöse Feste und warum sie wie begangen werden, das ist alles nicht mehr selbstverständlich. Was hat es dann also mit Fronleichnam auf sich? 60 Tage nach Ostersonntag feiern Katholiken dieses Fest und nennen es sogar „Hochfest“. Sein offizieller Titel lautet: „Hochfest des Leibes und Blutes Christi“. Dahinter steckt eine besondere Idee. Anders als Weihnachten und Ostern, bei denen es um konkrete Ereignisse aus dem Leben von Jesus geht, wie seine Geburt und seine Auferstehung, wird heute eine Glaubenswahrheit in den Mittelpunkt gestellt. Es geht um das Abendmahl, also um die Gaben von Brot und Wein, von denen es heißt: Das ist Jesu Fleisch und Blut, also: Er ist wirklich da. Katholiken nennen das die Eucharistie. Keine leichte Kost diese Idee. Immerhin hat das Jesus beim letzten Abendmahl mit seinen Freunden über Brot und Wein gesagt: „Das ist mein Leib. Das ist mein Blut.“ Fronleichnam bedeutet daher so viel wie „Leib des Herrn“ und wird abgleitet von den mittelhochdeutschen Wörtern „vron“, für „Herr“ und „lichnam“ für „Leib“. Das Ganze hat also weder etwas mit leblosen Körpern noch mit Frohsinn zu tun – von wegen „happy Kadaver“.

Wenn man es geschichtlich betrachtet, hat Fronleichnam seinen Ursprung im 13. Jahrhundert. Das war zu einer Zeit, als es in der spätmittelalterlichen Gesellschaft ein immer größer werdendes Bedürfnis gab, Religion mit allen Sinnen wahrzunehmen – vor allem mit den Augen. So sah die Augustinernonne Juliana von Lüttich in einer Vision einen kleinen schwarzen Fleck vor der Mondscheibe. Das war im Jahr 1209. Diese Vision wiederholte sich mehrfach und Juliana deutete sie wie folgt: Der Mond steht für das ganze Kirchenjahr mit all seinen Festen. Der schwarze Fleck markiert: Es fehlt ein Fest zur Verehrung der Eucharistie, also des Leibes Christi in dem runden Stück Brot. Es brauchte etwas Zeit bis sich Julianas Anliegen durchsetzte, aber schließlich erhob 1264 Papst Urban IV diese Verehrung zum Fest für die gesamte Kirche. Und so wurde Fronleichnam das Fest, an dem der Leib des Herrn besonders verehrt und dazu in der Gestalt des Brotes in einem Schaugefäß gezeigt wird. Aber nicht nur das: Das Brot im Schaugefäß wird durch die Straßen getragen und allen Menschen, die vorbei kommen gezeigt. So entstand die Fronleichnamsprozession. Übrigens: Die erste Prozession fand 1279 in Köln statt.

Musik III: Hubert Laws, No you'd better not


Fronleichnam: Als wenn es nicht schon schwer genug wäre nachzuvollziehen, dass aus Brot und Wein Leib und Blut Christi werden durch das Gebet des Priesters. Jetzt wird das Ganze auch noch zur Schau gestellt, verbunden mit einem mannigfaltigen Brauchtum und vielen volkstümlichen Elementen. Da sind die aufwendigen Prozessionen quer durch die Straßen mit dem Schaugefäß, worin das Brot gezeigt wird, das „Allerheiligste“ – wie Katholiken das Brot nennen. Der Priester ist opulent gekleidet mit einem Tuch um Schultern und Hände. Ehrfürchtig trägt er so das Schaugefäß mit dem Allerheiligsten, ohne es direkt zu berühren. Da sind Blumenteppiche, über die der Priester schreitet, damit seine Füße nicht den Boden berühren, während er das Allerheiligste unter einem schützenden Baldachin trägt. Dann sind da Fahnenträger, Messdiener, Kommunionkinder. Viele Menschen, die mitgehen durch die Straßen. Beten und singen – manchmal unterstützt von einer Blaskapelle. Für Außenstehende ein ungewöhnlicher Zug – vielleicht sogar befremdlich, der in der Frömmigkeit des Volkskatholizismus der 50er und 60er stecken geblieben zu sein scheint.

Schon als junges Mädchen, aber dann auch als kirchliche Mitarbeiterin hatte ich lange das Gefühl, dass diese Traditionen um das Fronleichnamsfest irgendwie aus der Zeit gefallen sind. Mich befiehl eher ein Unbehagen bei diesem Zug durch die Straßen, bei dem ich mitging. Ich fühlte mich von den Menschen, die am Wegesrand neugierig aus ihren Fenstern schauten, irgendwie mehr belächelt und bedauert als bewundert und respektiert. Mir kamen starke Zweifel, ob diese Art der zur Schau gestellten Religiosität noch angemessen ist. Und so blieben mir nur zwei Möglichkeiten: Dieses Fest – für mich – als alten Zopf abzuschneiden und zu verwerfen, oder zu versuchen, Fronleichnam wieder neu zu verstehen und die Idee vom Leib Christi in einen neuen Kontext zu übersetzen,
damit mir dieses Fest wieder etwas gibt. Dazu sind mir Fragen durch den Kopf gegangen: Wem oder was folge ich hier eigentlich, wenn ich hinter diesem Schaugefäß herlaufe? Kann mich hieran etwas begeistern und wenn ja: Von wem oder was lasse ich mich begeistern? Wer oder was ist mir so wichtig, dass ich dafür auf die Straße gehe – noch dazu an einem freien Tag? Welche Überzeugung möchte ich vor mir hertragen, dass alle Menschen sie sehen können?

Musik IV: Hubert Laws, Bloodshot


Wenn ich heute Fronleichnam feiere, ist mir ein Gedanke sehr wichtig geworden, der auf eine Verheißung Jesu an seine Freunde am Ende des Matthäusevangeliums zurück geht. Dort heißt es (Mt 28,20): „Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ Jesus – also Gott ist da! Er geht mit bei der Prozession und darüber hinaus auch in meinem Leben. Er ist ein Gott bei den Menschen, indem er alle Menschen liebt und annimmt. Und alle Menschen, die mit ihm gehen, sollen in diesem Wissen miteinander genauso umgehen: einander lieben und annehmen. Konkret heißt das für mich: Den eigenen wie den fremden Fehlern und Macken mit Nachsicht begegnen und eine gute Beziehung zu sich und anderen aufbauen. Sich selbst lieben lernen, um auch anderen Menschen zuallererst mit Wohlwollen begegnen zu können. Meinen Nächsten lieben können wie mich selbst, wie es in einem Gebot Jesu heißt (vgl. Mt 22,29). Dieses Gebot hat doch universellen Charakter. Das ist eine Überzeugung, die ich an Fronleichnam gerne vor mir hertragen würde.

Musik V: Hubert Laws, Baila cinderella


Fronleichnam verstehe ich als Fest, an dem ich Zeugnis gebe für etwas, das mir wichtig ist. Das zu feiern und es den Menschen hinzuhalten, dass Gott bei ihnen ist und mit ihnen geht. Das könnte eine Erklärung für die Gestaltung von Fronleichnam und den Fronleichnamsprozessionen sein. Diese Erklärung stelle ich gerne zur Schau. Das bedeutet natürlich auch umgekehrt, ich setze das, was mir im wahrsten Sinne des Wortes heilig ist, anderen Menschen aus. Ich weiß nicht, wie die damit dann umgehen, ob es sie irritiert, belustigt oder vielleicht doch zum Nachdenken bringt. Aber nur, weil ich nicht weiß, wie andere darauf reagieren, nichts zur Schau zu stellen, scheint mir auch nicht richtig zu sein. Warum nicht zeigen, was mir wichtig ist? Ein Statement setzen?

Wie wichtig so ein Statement ist, habe ich Ende des letzten Jahres erlebt. Das Recherchenetzwerk CORRECTIV hat ein geheimes Treffen in Potsdam zwischen Rechtsextremisten und Politikern von AfD und CDU aufgedeckt. Inhalt dieses Treffens war unter anderem die geplante sogenannte Remigration von drei Bevölkerungsgruppen: Geflüchtete, Ausländer und „nicht assimilierte eingebürgerte Staatsbürger“. Mit anderen Worten: Abschiebung – „Deportation“ – von Menschen im großen Stil egal, ob mit oder ohne deutschen Pass. Nach dieser Enthüllung entwickelte sich nach einem kurzen Moment der Schockstarre eine wahre Empörungswelle in unserem Land. Wochenlang wurde gegen die AfD und alle, die Rechtsextremismus propagieren, protestiert. Politische Überzeugungen wurden von Menschen auf bunten Plakaten friedlich vor sich hergetragen, die sonst vielleicht eher still zu Hause bleiben. Der Effekt, den diese Demonstrationen haben, ist spürbar und das nicht nur in den sinkenden Umfragewerten der AfD. Mir wurde dadurch sehr deutlich: Ich bin nicht allein, wenn ich mich unwohl fühle, bei Statements, von denen ich nicht weiß, ob Sie 1940 von Nationalsozialisten gesagt wurden oder 2023 von heutigen Politikern. Nicht nur ich fühle mich unwohl, wenn Abgeordnete propagieren, dass an allem, was schief läuft im Land, Migranten und Geflüchtete Schuld sind. Nicht nur ich zucke zusammen, wenn bestimmten Bevölkerungsgruppen immer wieder unterstellt wird, nur sie würden randalieren, den Sozialstaat ausnutzen, für Verbrechen verantwortlich sein und daher nicht zu Deutschland gehören. Und nicht nur ich – aus meiner christlichen Überzeugung heraus – wünsche mir, dass Menschen als wertvoll angesehen werden, unabhängig davon welche Hautfarbe, sexuelle Orientierung oder Herkunft sie haben. Diese – meine christliche Grundüberzeugung – möchte ich vor mir hertragen. Laut aussprechen. Haltung zeigen.

In wenigen Tagen, vom 06. bis zum 09. Juni finden in diesem Jahr zum zehnten Mal die Europawahlen statt. Für mich, ein weiterer Anlass meine Überzeugung vor mir her zu tragen und als Demokratin bewusst zu agieren. Denn Demokratie ist nicht selbstverständlich und kein Selbstläufer. Um wählen zu gehen, muss ich auch auf die Straße – wie zu einer Fronleichnamsprozession.

Zwar brauche ich Baldachine, Schaugefäße und liturgisches Tamtam immer noch nicht, aber ich merke, dass es gar nicht verkehrt ist, mindestens einmal im Jahr einen Tag zu haben, an dem ich über meine Überzeugungen nachdenken, sie feiern und vertiefen kann.

Aus Oberhausen grüßt Sie Sabrina Kuhlmann


Musik VI: Hubert Laws, Bimbe blue


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