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Kirche in WDR 5 | 11.06.2024 | 06:55 Uhr
Gute Gespräche - Bahngeschichten
Guten Morgen.
Einspieler Bahnhofsgeräusche (WDR-Archiv)
Düsseldorf Hauptbahnhof. Ich steige ein in den RE1 Richtung Köln, das Abteil ist voll. Auf einem der freien Plätze lasse ich mich nieder. Plötzlich redet jemand neben mir.
„Du meinst Essen, ne. Ich fühl mich da zuhause, auch wenn ich auf der Straße bin. Ich fühl mich so wohl, ich würde auch in der U-Bahn schlafen." Der junge Mann neben mir ist vielleicht so 20, trägt eine schwarze Jogginghose und ein graues Sweatshirt. Er spricht laut in das Abteil rein. Das Handy, seh ich dann, hält er in der Hand, er telefoniert über seine Kopfhörer. Die Menschen um ihn herum sind eh schon genervt, weil die Bahn fast eine Stunde Verspätung hat. Ich spinkse auf seinen Bildschirm. Er ist gesprungen und zeigt an: 40 Minuten telefoniert er schon. Ich höre ihm zu, weil weghören etwas schwierig ist. Der junge Mann erzählt jemandem am anderen Ende der Leitung von der Stadt Essen, dass er nicht gerne lange in fremden Städten ist, von einer Lehrerin, die als Hobby zu Hause Tiere ausstopft. Sein Gesprächspartner scheint die Lehrerin zu kennen und beide finden, dass das Hobby seltsam ist. Über längere Strecken hört der junge Mann aber auch zu. Er stellt aufmerksame Fragen und reagiert mitfühlend.
Ich merke, dass ich ihn zunehmend sympathischer finde. Und dass mich das laute Telefonat gar nicht mehr stört. Ich find’s irgendwie schön, dass er seine Zeit für so ein langes und freundliches Gespräch nutzt. Von den anderen Fahrgästen hört man nur ab und an Gemotze über die Verspätung. Er dagegen macht das Beste aus der Situation.
Statt sich Videos anzugucken oder irgendwelche Nachrichten zu schicken, redet er. Über Gott und die Welt. Und wie sich für ihn Heimat anfühlt. “Ich fühl mich so wohl in Essen, ich würde da auch in der U-Bahn schlafen.”
Und vor allem: Er hört dem am anderen Ende der Leitung zu. Und zwar nicht so jaja, ok, lass mal auflegen. Sondern echt interessiert, konzentriert und mit Spaß daran, sich zu unterhalten. Er spricht über seine eigenen Gefühle. Und es ist ihm egal, dass fast das ganze Abteil das hört.
Ich finde das wichtig. Zeit zum Reden und Zeit zum Zuhören. Im Dialog mit anderen sein. Über gemeinsame Erinnerungen sprechen. Gefühle teilen. Sich selbst zeigen. Und sein Gegenüber sehen.
Das letzte Hemd hat keine Taschen, sagt man ja so. Also, Geld, Haus, Auto, Ruhm und Ehre nehmen wir nicht mit, wenn wir sterben. Wir nehmen nur das mit, was wir im Herzen haben.
Sich Zeit zum Telefonieren, zum Erzählen nehmen, mit einem anderen Menschen im Austausch sein. Das ist das, was wir mitnehmen. Das nährt unser Herz und auch das von der Person, der wir diese Zeit schenken.
Einspieler Bahnhofsgeräusche (WDR-Archiv)
Rufen Sie jemanden an. Nehmen Sie sich die Zeit. Wenn es sein muss, auch in der Bahn. Warum nicht. Sie müssen ja nicht gleich den ganzen Wagen beschallen. Oder sie kommen mit der fremden Person, die neben ihnen sitzt, ins Gespräch. Wie auch immer:
Zeit und echtes Interesse am anderen ist das Wertvollste, was wir verschenken können.
Aus Köln grüßt Sie Inga Waschke.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze