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evangelisch
Kirche in WDR 2 | 12.03.2021 | 05:55 Uhr
Manchmal hilft nur beten
Jetzt ist es passiert. Jetzt ist zum ersten Mal jemand, den ich
persönlich gekannt habe, an Corona gestorben. War wohl auch nur eine Frage der
Zeit. Eine ältere Dame, über 80. Die Mutter eines Freundes. Sie war immer fröhlich.
Lebenslustig. Und Teil der Risikogruppe. Plötzlich merke ich, wie das den
Blickwinkel verändert. Wie oft ist Corona Gesprächsthema. Dann rede ich über
das, was ich im letzten ARD Brennpunkt gehört habe. Und darüber, wie es im
Moment so geht mit den Masken und den Einschränkungen. Ich theoretisiere über
Fallzahlen und Inzidenzwerte als wäre ich selbst Virologe. Aber jetzt ist es
anders. Solange ich fachsimpeln und theoretisieren kann, halte ich die Probleme
noch ganz gut von mir weg. Aber jetzt ist die Krankheit, ist das Sterben in
meinem Leben angekommen. Und ich begreife in aller Tiefe die Dramatik. Wie soll
ich damit umgehen? Mit der Trauer, der Sorge. Dem fiesen Gefühl der
Hilflosigkeit? Weil ich die Probleme selbst ja gar nicht lösen kann. Und auch
nicht dauerhaft verdrängen. Manchmal hilft nur beten. Sagt der Volksmund.
Vielleicht stimmt das ja. Die Bibel jedenfalls ermutigt mich mit der
Glaubenserfahrung vieler Generationen: „Des
Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.“ Nun gut: Ich schließe
die Augen, öffne mich und lasse los. Erzähle Gott alles. Die ganze Last rede
ich mir von der Seele. Ich klage um diese Frau, bitte für ihre Angehörigen. Ich
bitte um Kraft und gute Entscheidungen der Verantwortlichen. Darum, dass die
Sorgen, die so viele im Moment ertragen müssen, uns nicht gegeneinander
aufbringen. Ich bitte um Schutz. Für meine Kinder, meine Familie. Für mich.
Und, ja, ich bitte auch ganz kindlich, dass Gott diese Seuche von uns nimmt.
Ich bete gegen meine Befürchtungen und meine Hilflosigkeit an: Ich kann das
nicht tragen. Trag du es Gott! Des
Gerechten Gebet vermag viel. Erwarte ich wirklich, dass Gott auf mein Gebet
hin morgen die Pandemie beendet? Nein. Obwohl, vielleicht doch. Ein bisschen.
Warum nicht? Was ich aber auf jeden Fall erlebe: Mitten im Beten wird meine
Last leichter. Ich werde hoffnungsfroher. Mein Vertrauen wächst wieder: Wir kommen
da schon durch. Ich erlebe: Beten verändert alles, weil es mich verändert. Und
allein das ist, für mich, schon ein richtiges Wunder. Tja. Jetzt ist es
passiert. Jetzt ist der erste Mensch, den ich persönlich gekannt
habe, an Corona gestorben. Und ich fürchte, es wird nicht der letzte sein. Aber
beten hilft. Das ist meine Erfahrung.
Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth